Sieben Wochen Glaubens-Reflexion
Täglich kurze Gedanken zu Stellen der jeweiligen Tageslesungen
von Faschingsmontag bis Ostermontag 2022
17. April, Ostersonntag
Drei Stellen in den Lesungen des Ostersonntags wecken meine besondere Aufmerksamkeit. Bei und mit ihnen verweile ich:
In der Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 10, 34a.37–43) heißt es am Schluss:
„Und er hat uns geboten, dem Volk zu verkünden und zu bezeugen: Dieser ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten.“
Gott hat einen Richter eingesetzt, der sein ganzes Leben als Versöhnung und Barmherzigkeit gestaltet hat, der dafür sogar jede Schmach und das Todesurteil in Kauf genommen hat: Gibt es einen tröstlicheren Hinweis auf das Leben nach dem Tod? – Kein Rächer ist eingesetzt, sondern ein mitleidender, aufhebender Richter!
In der zweiten Lesung (Kol 3,1-4) mahnt der Verfasser des Kolosserbriefes (Paulus aus der Gefangeneschaft), wir sollten danach streben, was oben ist. Dann kommt die mich aufrüttelnde Aussage:
„Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott.“
Was bedeutet „verborgen in Gott“? Warum sollten wir dort bei Gott versteckt sein. Das lateinische Wort „absconditus“, abgeleitet von „abscondere“ – die „Vulgata“, ist in lateinischer Sprache geschrieben, die Mittelalter verbreitete Sprache der Bibel – bedeutet zunächst verbergen, verstecken (abscondere) bzw. verborgen, geheim (absconditus). Ich habe beim ersten Drüberlesen über die deutsche Übersetzung in der Einheitsbibel nicht „verborgen“ gelesen, sondern „geborgen“. Und hab mich auf die Suche gemacht, ob ich mit meiner eigenmächtigen Lesart von „absconditus“ als „geborgen“ wirklich daneben liege. Im Lexikon finde ich als mögliche Übersetzung von absconditus auch „aufgehoben“. Das bestärkt mich in meinem Drüberlesen über das Wort verborgen. Ich verstehe mich als in Gott geborgen, aufgehoben. Durch den Tod vollendet geborgen.
Das Evangelium – die Hauptakteurin ist Maria Magdalena – erzählt von unterschiedlichen Geschwindigkeiten der beiden Jünger (Petrus und Johannes). Der Schnellere (Johannes) kommt zwar früher ans Ziel, der Langsamere aber erst vollendet, was es am Ziel zu tun gab: hinschauen, wahrnehmen, sich den Wahrheiten stellen. Erst als der Langsamere kam, der da vielleicht noch mehr bei Glaubenspuste, also Glaubenskraft war, wagte auch der nach Glaubens-Luft, nach Verstehen und Vertrauen Ringende, sich dem zu stellen, was es zu glauben galt: Es ist mit dem Tod nicht aus.
Das Evangelium schließt mit dem Hinweis, dass nach Petrus auch Johannes ins Grab hinein ging und:
„er sah und glaubte. Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.“
Er glaubte, denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden. Sie sind damit in unserer Rolle. Wie viel von der Schrift verstehen wir? Wie viel verstehe ich davon, dass die Auferstehung, die wahrgenommene Auferstehung von den Toten ein Muss ist? Aber glauben können wir. Glauben heißt vertrauen. Dem vertrauen, was Jesus vorgelebt hat in seinem unerschütterlichen Vertrauen auf Gott: Barmherzigkeit, Güte, Menschenzugewandtheit, Nächstenliebe. Das gute Leben, das geheiligte Leben fängt im Leben an, nicht erst nach dem Tod!
16. April, Osternacht
Für mich rütteln die zweite und dritte Lesung (aus dem Alten Testament) seit jeher an meinem Glauben: Dieser brutale Gott ist nicht der Gott, an den ich glauben kann. – Er hat den Menschen doch nach seinem Bild geschaffen und gesehen, dass alles gut ist (1. Lesung). Und dann sein Zorn, seine Rachsucht, seine Unbarmherzigkeit und das sinnlose Erproben eines Menschen (Abraham), wo er doch genau um ihn weiß! …
Aus der 1. Lesung (Gen 1,1-2,2, Schöpfungsbericht)
„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie: Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, […] Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“
Aus der 2. Lesung (Gen 22,1-18; Abraham will den Auftrag Gottes ausführen, den eigenen Sohn Isaak als Brandopfer darzubringen)
„Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham dort den Altar, schichtete das Holz auf, band seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu […] Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.“
Aus der 3. Lesung (Ex 14,15-15;1; Gott rettet die Israeliten aus der Hand der Ägypter)
„Darauf sprach der HERR zu Mose: Streck deine Hand über das Meer, damit das Wasser zurückflutet und den Ägypter, seine Wagen und Reiter zudeckt! Mose streckte seine Hand über das Meer und gegen Morgen flutete das Meer an seinen alten Platz zurück, während die Ägypter auf der Flucht ihm entgegenliefen. So trieb der HERR die Ägypter mitten ins Meer. […] Das Wasser kehrte zurück […] Nicht ein Einziger von ihnen blieb übrig“
Aus der 4. Lesung (Jes 55,5-14; Jerusalem, dein Schöpfer ist dein Gemahl)
Nun verlassen die Lesungstexte der Osternacht das archaische Gottesbild. Gott ist seinem Volk ein zärtlicher Liebhaber. Und alles wird gut.
„Du wirst auf Gerechtigkeit gegründet sein. Du bist fern von Bedrängnis, denn du brauchst dich nicht mehr zu fürchten und bist fern von Schrecken; er kommt an dich nicht heran.“
Ähnlich ist auch die Botschaft der 5. Lesung (Jes 55,1-11): Gott lässt sich finden, stillt den Durst nach tiefer Geborgenheit.
„Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser! […] Sucht den Herrn, er lässt sich finden, ruft ihn an, er ist nah!“
Aus dem Evangelium (Lk 24,1-12)
„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“
So reden die zwei Männer/Engel zu den Frauen, die Jesus in der Grabkammer salben wollten, ihn aber dort nicht finden.
Was suchen wir Gott im Reich des Todes? Er ist an unserer Seite, mitten im Leben. Und er lässt sich finden, wie es in der Jesaja-Lesung geheißen hat.
Will ich ihn finden? Was mache ich mit dem Fund? In Angst vor seinem Zorn leben und davor, seinen harten Erprobungen ausgesetzt zu sein? – Oder kann ich Gott als Schöpfer wahrnehmen, dessen Wort im Schöpfungsbericht auch mir gilt? – „Und siehe, es war sehr gut!“
Kann ich das Leben Jesu und seine Auferstehung als frohe Botschaft verstehen, die auch mich mitmeint, mitbegeistern will – zur Auferstehung mitten im Leben schon? Auferstehung durch gelebte Gemeinschaft, Auferstehung durch erfahrene und mitgetragene Stärkung. Auferstehung aus den Tretmühlen des Lebens, die angetrieben sind von Angst um Verluste und von Abgrenzung gegen andere. Auferstehung aus den Schatzkammern des Grabs, die gefüllt sind mit dem nichtsnutzen Haben, hinaus aus dem Grab ins allesnutze Sein: auf den Flügeln des Vertrauens, dass es mit dem Tod nicht aus ist.
15. April, Karfreitag
Aus der 1. Lesung (Jes 52,13 – 53,12; Leid und Erfolg des Gottesknechts)
„Deshalb gebe ich ihm Anteil unter den Großen, und mit Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Abtrünnigen rechnen ließ. Er hob die Sünden der Vielen auf und trat für die Abtrünnigen ein.“
Immer wieder verweisen Kirche und TheologInnen auf den Sühnetod Jesu. Jesus, der uns mit seinem Tod von unseren Sünden erlöst (hat). Ich habe mit dem Sühnetod, dem „Opferlamm“, das für uns zur Schlachtbank geführt wird, große Schwierigkeiten. Die heutige Lesung aus Jesaja greift meine Schwierigkeiten auf und führt sie ins Licht einer anderen Deutung: Die Sünden der Vielen sind aufgehoben – durch ein Leben der Zuwendung. Für diese Zuwendung nimmt der Gottesknecht auch den Tod in Kauf. Für ein Leben in Treue zu dem, was er als Wahrheit erkennt (siehe auch Jesus vor Pilatus im heutigen Evangelium). Zu dieser Wahrheit gehört auch das Eintreten für die Abtrünningen, die Zuwendung zu den Sündern und Sünderinnen, wie es Jesus praktiziert hat.
In der zweiten Lesung (Hebr 4,14–16; 5,7–9) spricht das der Verfasser des Hebräerbriefes mit anderen Worten an – (Jesus als mitfühlender Hoherpriester):
„Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten. Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat. Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit!“
Das Evangelium (Joh 18,1 – 19,42) ist die Leidensgeschichte nach Johannes. Ich verweile bei ein paar Stellen daraus, vielleicht nicht bei den zentralsten, es sind oft nur „mitgehörte“ Kulissenworte in der Bezeugung des Leidens Jesu. In mir wecken die Worte aber ein Nach-Denken.
Jesus sagt zu Pilatus im Verhör:
„Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben her gegeben wäre.“
Warum steht da „es“, nicht „sie“? Es ist von oben gegeben. Ich wälze in meinen Gedanken das kleine Wort „es“, das hier verwendet wird. Ist es vielleicht ein Schreibfehler oder ein Übersetzungsfehler? In einigen Bibel- Übersetzungen finde ich tatsächlich „sie“, nicht „es“. Aber ich freunde mich mit der Es-Übersetzung an. –
„Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ So schreibt Erich Fried in einem Gedicht. Wie es ist, hat „oben“ nicht unbedingt eine Zustimmung, aber keinen Einspruch. Wie es ist, so ist es. Gott greift nicht als Gewährer oder Verwehrer ein. Gott liebt. Er liebt seine Schöpfung mit allen Abtrünningen …
„Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit?“
Was ist Wahrheit? – Die, so vermute ich, hochnäsig gemeinte Frage von Pilatus (die wohl meint: „was weißt du schon von den wahren und entscheidenden Dingen dieser Welt?“) ist eine Anfrage an mich: Was ist meine Wahrheit? Wie viel von dem, was mein wahres Ich ist, verstecke ich? Welchen Zusagen und Versprechungen hänge ich an? Wie viel davon, was ich als wahr und richtig erkenne, übersetze ich ins Tun? Wie sehr bemühe ich mich darum, der Wahrheit, also dem Sinn nachzuspüren?
„Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten – dieser Sabbat war nämlich ein großer Feiertag –, baten die Juden Pilatus, man möge ihnen [den Gekreuzigten] die Beine zerschlagen und sie dann abnehmen. Also kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Beine, dann dem andern, der mit ihm gekreuzigt worden war.“
Die Beine wurden zerschlagen, um den Eintritt des Todes zu beschleunigen. Die Beine konnten nicht mehr unterstützend das Gewicht des Körpers tragen, dieser sackte in sich zusammen. Der Tod trat qualvoller und schneller ein. –
Wozu sind Menschen im Taumel ihrer „Wahrheit“ fähig. In der Wahrheit der sogenannten Gerechtigkeit – oder gegenwärtig in der Wahrheit der „besonderen militärischen Operation“!
Zu welchen Misshandlungen im Kleinen und Großen verführt, nein: treibt der Wahrheitswahn!
Dem entgegen steht die Wahrheit der Liebe, wie sie Jesus bis in den Tod gelebt hat. Die Liebe will weder Rache noch Opfer, nimmt aber das eigene Opfer in Kauf. So das Ideal. So Jesus.
14. April, Gründonnerstag
Aus der alttestamentlichen Lesung (Ex 12,1–8.11–14)
„In dieser Nacht gehe ich durch das Land Ägypten und erschlage im Land Ägypten jede Erstgeburt bei Mensch und Vieh. Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr. […] Es ist ein Pessach für den Herrn – das heißt: der Vorübergang des Herrn. […] Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest für den Herrn! Für eure kommenden Generationen wird es eine ewige Satzung sein, das Fest zu feiern!“
Die Lesung schließt an die Erzählung von den zehn Plagen an, die Gott den Ägyptern schickt, um die Israeliten aus ihrer Abhängigkeit zu befreien (Kapitel 7 -10 im Buch Exodus). Die zehn Zeichen: Der von Aaron vor den Pharao hingeworfene Stab wird zu einer Schlange; Nilwasser und alle Wasser im Land werden zu Blut – es wird ungenießbar, überall stinkt es; Froschplage; Stechmücken; Ungeziefer; Seuche unter dem Vieh der Ägypter; Geschwüre an Mensch und Tier; Hagel samt schwerem Unwetter erschlägt Vieh und Mensch im Freien; Heuschreckenplage; drei Tage tiefe Finsternis im Land. Als nach all diesen Plagen der Pharao die Israeliten noch immer nicht ziehen lässt, schickt er die letzte Plage, aus deren Schilderung stammt der obige Abschnitt – alle Erstgeborenen werden erschlagen.
In der Ankündigung dieses grausamen Mordens berichtet Moses, dass ihm Gott auch zugesagt hat: „Doch gegen keinen der Israeliten wird auch nur ein Hund die Zähne fletschen, weder gegen Mensch, noch gegen Vieh; denn ihr sollt wissen, dass der Herr zwischen Ägypten und Israel einen Unterschied macht.“ (Ex 11,7)
Somit muss ich mich mit einer Stelle auseinandersetzen, gegen die ich immer rebelliert habe – und es bis heute mache. Diese Gründonnerstag-Lesung widerspricht meinem Gottesbild, meiner Vorstellung (meinem Verständnis) von einem Gott, der sich den Menschen in Liebe zuwendet. – Sollte mich davor das Gebot bewahren, mir kein Bild von Gott zu machen (Ex 20,4)? – Im jüdischen Tanach heißt es „Bild“, unsere Einheitsübersetzung schreibt „Kultbild“.
Die zweite Lesung (1 Kor 11, 23–26) ist mir Balsam auf die Wunden der ersten Lesung:
„Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis!Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“
Jesus, der den liebenden Gott verkündet, den Gott, der nicht ausgrenzt und den Verlorenen nachgeht, der zur Versöhnung und zum Miteinander anstiftet, geht für diese Botschaft in den Tod. Er wird Opfer, statt Unverständige und Gegner zu Opfern zu machen. Und er will, dass wir uns immer daran erinnern und sein Beispiel feiern.
Im Evangelium (Joh 13,1-15) wird diese Botschaft noch einmal verstärkt zum Lebenskonzept der Nachfolge Jesu. Der Text aus dem Johannesevangelium berichtet von einem Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern vor dem Paschafest hielt (es wird in der kirchlichen Tradition „letztes Abendmahl“ genannt). Jesus steht vom Mahl auf und wäscht seinen Jüngern die Füße. Danach fragt er sie:
„Begreift ihr, was ich an euch getan habe? […] Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“
Bei Petrus – was von ihm in diesem Evangelium berichtet wird – verweile ich noch ein bisschen:
„Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir. Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.“
Dazu kommt mir das Sprichwort in den Sinn: „Gibt man jemandem den kleinen Finger, will er die ganze Hand.“ Menschen sind darauf aus, möglichst viel zu bekommen.
Doch Jesus wollte Anderes anstoßen und hat es vorgelebt: möglichst viel zu geben.
Wenn die Kirche heute die Einsetzung des Gedächtnismahls feiert, muss sie dieses Gedenken auch mit der tätigen Erinnerung an die Caritas, die Nächstenliebe verbinden.
Mahl zu feiern, ist viel mehr als Erinnerung; es ist Vergegenwärtigung und Weitertragen der jesuanischen Zuwendung – ohne Ausgrenzung! Mahl zu feiern ohne Caritas zu leben, ist unjesuanisch. Und Mahl ohne ein Miteinander zu feiern, ist wie allein am Stammtisch zu sitzen. Der würde so gänzlich seinen Sinn verlieren.
Ich muss noch einmal zur ersten Lesung zurück. Auch Jesus feiert den Vorübergang des Herrn (Pessach, Pascha). Mit dem Fest wird des befreienden Gottes gedacht. Ägypten ist das Sinnbild für Knechtschaft. Ägypten ist damit auch Sinnbild dafür, was uns unterdrückt, welchen Zwängen wir unterworfen sind. Was lassen wir uns von äußeren Wichtigkeiten knechten? Wir könnten uns doch frei denken, frei fühlen – als von Gott treu Geliebte. Dass der Gott im Alten Testament dreinschlägt, wütet, Gegner mordet, … ist dem Gottesbild der damaligen Zeit geschuldet. Gott wird wie ein Mensch gedacht, nur halt ausgestattet mit allen Wunderwerkzeugen. Jesus lebt vor, dass wir uns Gott tatsächlich wie einen Menschen denken dürfen – nur halt ausgestattet mit der Riesensehnsucht nach unserem Du. Gott will bei uns, in uns beheimatet sein. Er findet uns, auch wenn wir unseren Zugang nicht mit Blut beschmieren.
13. April
Die AT-Lesung (Jes 50, 4-9a) ist die gleiche wie jene vom Palmsonntag (Jes 50, 4-7), um ein paar Sätze erweitert:
„Seht her, Gott, der Herr, wird mir helfen.“
Zu diesem letzten Satz von heute will ich am Schluss dieser Reflexion zurückkommen.
Das Evangelium ist die Matthäus-Version des gestrigen Evangeliums nach Johannes (Joh 13, 21-33.36-38). Bei Johannes ist der Hinweis auf den Verräter, dass Jesus das eingetauchte Brot Judas gibt. Bei Matthäus ist der Hinweis ein kleinwenig anders formuliert:
„Der, der die Hand mit mir in die Schüssel getaucht hat, wird mich verraten.“
Spitzfindiges will ich aber nicht anbringen. Auch über die Figur Judas habe ich in den letzten Tagen schon zweimal nachgedacht. Ich verweile bei einem unspektakulären Satz:
„Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten?“
Die Sorge um die Feier des Mahls, dessen ansprechenden Ort, ist eine Sorge um die Gemeinschaft. Ein Mahl zu feiern, braucht einen Rahmen zum Wohlfühlen, und alle helfen mit. Ein Mahl ist nur als Gemeinschaft zu halten. Niemand nimmt in Einsamkeit ein Mahl zu sich.
Wo also feiern wir? Und wer feiert mit? Wer ist eingeladen? Wenn ich der Verräter-Zuschreibung an Judas folge, nehme ich wahr: auch Verräter sind eingeladen! Das hat Jesus immer gelebt: er hält Mahl mit Sündern! –
Sagt uns das etwas für das heutige kirchliche Mahlverständnis?
Und nun verbinde ich den Schlussatz der Lesung mit der Sorge um die Feier des Mahls. – Die Jesaja-Lesung strotzt von Vertrauen auf Gott. Kurz vor diesem Satz, dass Gott helfen werde, steht die Anmerkung:
„Er, der mich freispricht, ist nahe.“
Gott wird zum Helfer als Freisprecher! Wie sehr sind wir in der Kirche, zumal – zumahl! – beim und zum Mahl-Feiern Schuldsprechende!
Das kann nicht helfen!
12. April
Die Lesung aus dem Alten Testament (Jes 49, 1-6) schildert die Berufung des Gottesknechtes. Wobei es eine der ungeklärten Fragen der Bibelwissenschaft ist, wer mit „Gottesknecht“ gemeint ist – ein einzelner Mensch, ein Stamm, ganz Israel? Der Begriff verschwimmt und wird wohl in mehreren Zuordnungen verwendet. Wenn ich die Berufungs-Stelle heute lese, lasse ich uns mit „Gottesknecht“ meinen.
„Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“
Licht könnten, sollten wir sein, aber wir wagen es oft nicht, das Licht auch zu zeigen. Wir müssten Licht weitergeben, sodass es in aller Welt sichtbar wird, aber wir behalten es vielfach unter Verschluss. Wir Christen reden zu selten über den Glauben und wenn wir reden, lassen wir unserer Glaubensrede oder unserem Glaubens-Hören zu selten Taten folgen. Würden wir 2,5 Milliarden Christen in einer Welt von etwa acht Milliarden Menschen das uns übergebene Licht mehr herumreichen, etwa das Licht der Bergpredigt, das Licht vom barmherzigen Gott, das Licht der Versöhnung, … dann hätte die Welt ein anderes Gesicht. Und würden das ebenso die etwa zwei Milliarden Menschen muslimischen Glaubens tun, die sich auch in der mosaischen Nachfolge sehen, und auch die Menschen jüdischen Glaubens – wie sehr würde diese Welt erstrahlen!
Im Evangelium (Joh 13, 21-33.36-38) kündigt Jesus seine Auslieferung an. Judas wird als Verräter geoutet. – Dazu gibt es in der Bibelwissenschaft unterschiedliche oder widersprüchliche Deutungen des Motivs von Judas und des Motivs, wie die Person Judas in den Evangelien dargestellt wird. Das lasse ich jetzt beiseite und verweile bei einer Stelle, die mir erst jetzt beim Lesen als Signal aufgeleuchtet ist – man könnte sagen, mir ein Licht aufgehen ließ:
„Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht.“
Er ging in die Nacht hinaus. Hinaus in das Alleingelassen-Sein. Hätten die Lichter des Glaubens geleuchtet, wäre Judas nicht in die Nacht gestolpert.
Wie oft breiten wir Nacht um uns? Wie oft lassen wir allein? Wenn wir ein wenig weiterlesen im Bericht über die Stunden vor der Gefangennahme Jesu (etwa bei Lukas 22,39-46) erfahren wir von einem weiteren nächtlichen Alleingelassen-Werden: die Jünger lassen Jesus am Ölberg in seiner Todesangst allein.
Würden doch die Glaubenden stärker ihre Lichtträger-Aufgaben wahrnehmen (wollen)!
11. April
Weil es ein so trostvoller Text ist, zitiere ich ein paar Sätze – fast unkommentiert – aus der alttestamentlichen Lesung (Jes 42, 5a.1-7):
„So spricht Gott der Herr: Seht, das ist mein Knecht, […] Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; […] Auf sein Gesetz warten die Inseln.“
Nur die „Inseln“, die auf sein Gesetz warten, wecken eine gern verwendete österreichische Selbst- und Fremdbeschreibung in mir auf: „Insel der Seligen“. – Die Insel der Seligen, der so viel Gutes zufällt, das anderen verwehrt ist, sollte sich am göttlichen Zutrauen (Gesetz) der Zuwendung an Schwache, Arme und Fremde orientieren …
Das Evangelium (Joh 12, 1-11) erzählt, wie Jesus sechs Tage vor dem Paschafest nach Betanien geht, in die Stadt, in der Lazarus lebt, den er aus dem Tod ins Leben zurückgeholt hat. Es wird ein Fest gefeiert. Marta bedient Jesus, Maria salbt ihn mit teurem Nardenöl. Johannes berichtet, dass sich Judas darüber aufregt:
„Judas Iskariot, der ihn später verriet, sagte: Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Erlös den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte.“
Von der Aufregung über die Salbung mit teurem Öl berichten auch die anderen drei Evangelisten ähnlich (Mt 26,6-13; Mk 14,3-9; Lk 7,36-50). Bei ihnen aber ärgert sich nicht Judas über die Salbung, sondern einige der Jünger grollen bzw. wurmt es einen Pharisäer. (Lukas).
In dieser Parallelstelle bei Lukas weist Jesus den Pharisäer zurecht und sagt dann einen Satz, der ein Vertrauensprogramm für Christen sein sollte: „Ihr [der salbenden Frau] sind viele Sünden vergeben, denn sie liebt viel.“ (Lk 7,47) –
Es geht um die Liebe, nicht ums Erbsen-Zählen von Verfehlungen!
Zurück zu Judas im heutigen Evangelium und insgesamt dazu, wie seine Person in den Evangelien überliefert ist.
Schon in jungen Jahren verfestigte sich in mir der Glaube, dass der menschenfreundliche Gott niemanden verdammt, nicht für immer ausschließt, sondern heilt, für ewig zu sich holt. Ich rebellierte so auch gegen das vermittelte Bild von Judas (oder, um es noch herausfordernder zu sagen, zB auch von Hitler, aktuell wäre es etwa Putin, …). Nach welchen Läuterungen Gott heimholt, kann ich mir nicht ausdenken, aber dass er am Ende heimholt, daran will ich glauben.
Vor ein paar Jahren habe ich von Christoph Wrembeck SJ das Buch gelesen: „Judas, der Freund“. Im Untertitel wird deutlich angesprochen, worum es geht: „Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich“. Das Buch hat mir aus der Seele gesprochen.
Wrembeck schreibt am Schluss: „Es gibt bei Gott keine Verworfenen. Er trägt alle nach Hause und wandelt ihre Tränen in sein Lachen.“
Wrembeck weist besonders auch auf die Stelle bei Matthäus (Mt 26,50) hin, die die letzten überlieferten Worte Jesu an Judas sind (nach der „Judaskuss“-Szene). Jesus spricht dort Judas als Freund an …
Sich mit der Person Judas auseinanderzusetzen und das eigene Verzeihungs-Verständnis und die eigene Versöhnungs-Bereitschaft zu prüfen – auch dazu kann die Karwoche ermutigen!
10. April, Palmsonntag
Die Lesung aus dem Alten Testament (Jes 50, 4–7) beginnt mit einem erstaunlichen, weil so positiv gemeinten Satz:
„Gott, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort“
Wie wird die Zunge des Schülers zu einer verstehenden, stärkenden? Ist nicht der Lehrer verstehend?
Vielleicht begreife ich aus meiner Geschichte den Satz? – Ich war kein guter Schüler. Das ließen mich die Lehrer oft wissen. Doch die Erhabenheit und der Stolz der Wissenden unterdrückt. Ihre Rede ist großlaut. Die Rede des Nichtwissenden ist kleinlaut. Sie kann sich viel eher mit den Kleinen und Leisen verbünden – stärkende Zuwendung!
Das Evangelium (Lk 22,14 – 23, 56)
ist die Leidensgeschichte Jesu nach Lukas. An ein paar Stellen bleibe ich nach innen horchend stehen.
„Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Jüngste und der Führende soll werden wie der Dienende. Denn wer ist größer: Der bei Tisch sitzt oder der bedient? Ist es nicht der, der bei Tisch sitzt? Ich aber bin unter euch wie der, der bedient.“
Wie oft geschieht in unserer Welt das Gegenteil. Das beschreibt ja auch Jesus als Tatsache, setzt aber dieser seinen Jüngern ein Beispiel entgegen, wie es sein soll. Aber ist es über die Jahrhunderte in Jesu Jüngerschaft nicht geradezu zur weltlichen Nachahmung in noch glanzvollerem Stil gekommen? Wann, wo, wie lebt die Kirche wie das Dienstpersonal bei Tisch? Und wen lädt sie ein, am Tisch Platz zu nehmen?
„Als seine Begleiter merkten, was bevorstand, fragten sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?Und einer von ihnen schlug auf den Diener des Hohepriesters ein und hieb ihm das rechte Ohr ab. Da sagte Jesus: Lasst es! Nicht weiter! Und er berührte das Ohr und heilte den Mann.“
Lasst es! Nicht weiter! Wir schlagen in allen unseren Auseinandersetzung auch immer wieder drein. Nicht mit Schwertern, aber mit Worten. Oder mit Verachtung, das auch als Schweigen daherkommen kann. – NICHT WEITER! Auf diese Stopptafel zu schauen, täte uns allen gut.
„Er musste ihnen aber zum Fest einen Gefangenen freilassen. Da schrien sie alle miteinander: Weg mit ihm; lass den Bárabbas frei! Dieser Mann war wegen eines Aufruhrs in der Stadt und wegen Mordes ins Gefängnis geworfen worden.“
Pilatus lässt sich schließlich auf den geforderten Tausch ein, und Barrabas kommt frei.
Ich frage mich, wie ging es dann mit Barrabas und seiner Umwelt weiter? Wie bald hat ihr Barrabas seine Freiheit „gedankt“?
Und dann sinniere ich, wie oft sich wohl unsere, meine, Welt blind, im Ärger, in Wut taktisch dem Schlechten zuwendet? Wie oft werden „nützliche“ Verbindungen eingegangen, nicht weil sie dem Guten dienen, sondern dem vermeintlichen eigenen Vorteil?
Wie oft hat mein Hahn des Verrats aus Eigennutz schon gekräht?
9. April
In der Lesung (Ez 37, 21-28) schildert Ezechiel, wie Gott die Israeliten zu seinem Volk macht und mit ihnen einen Friedensbund schließt
„und bei ihnen wird meine Wohnung sein.“
Der Text des Evangeliums (Joh 11, 45-57) schließt an die Erzählung von Lazarus‘ Auferweckung von den Toten an. Viele, die das sahen, kamen zum Glauben, andere aber gingen zu den Pharisäern, erstatteten Bericht, was geschehen war. Für die „Frommen“ war nun klar, Jesus muss sterben, er gefährdet die Ordnung. Der Hohepriester Kajaphas argumentierte:
„Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“
Der Evangelist korrigiert Kajaphas in seinem Zeugnis:
„Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.“
Jesus zieht sich noch einmal in die Nähe der Wüste zurück. Das Paschafest aber steht bevor, und die Menschen fragen sich, ob Jesus zum Fest kommen werde. Viele vermuten:
„Er wird wohl kaum zum Fest kommen. Die Hohenpriester und die Pharisäer hatten nämlich, um ihn festnehmen zu können, angeordnet: Wenn jemand weiß, wo er sich aufhält, soll er es melden.“
Lesung und Evangelium bilden eine Klammer der Gegensätze. Während die Lesung Gott als den nach dem Volk Israel Sehnsüchtigen vorstellt, der mitten unter ihnen wohnen will, erzählt das Evangelium, wie wenig das Volk mit der Gottesnähe anfangen kann, wie sie diese konkrete Nähe überfordert.
Meine Gedanken gehen zurück zur Lesung aus dem Buch Ezechiel: Gott, der mit Begeisterung vom Bund mit Israel spricht, Israel sein Volk nennt, und sich als dessen Mitbewohner deklariert.
Gott will Quartier bei den Menschen finden, in uns wohnen. Um seine Wohnung müssten wir uns kümmern. Die holländische Jüdin Etty Hillesum (1943 in Auschwitz ermordet) hat das im „Sonntagmorgengebet“ sehr schön formuliert:
„Der Jasmin hinter dem Haus ist jetzt ganz zerzaust vom Regen und den Stürmen der letzten Tage, die weißen Blüten treiben verstreut in den schmutzigen schwarzen Pfützen auf dem niedrigen Garagendach. Aber irgendwo in mir blüht der Jasmin unaufhörlich weiter, genauso überschwänglich und zart, wie er immer geblüht hat. Und sein Duft verbreitet sich um deinen Wohnsitz in meinem Inneren, mein Gott. Du siehst, ich sorge gut für dich. Ich bringe dir nicht nur meine Tränen und ängstlichen Vermutungen dar, ich bringe dir an diesem stürmischen, grauen Sonntagmorgen sogar duftenden Jasmin. Ich werde dir alle Blumen bringen, die ich auf meinem Weg finde, und das sind immerhin eine ganze Menge. Du sollst es so gut wie möglich bei mir haben.“
8. April
In beiden Texten wird aufgezeigt, wie viel Gegnerschaft und Hass jene auf sich ziehen, die in besonderer Beziehung zu Gott stehen, die in seinem Namen zum Volk sprechen.
Doch Jeremias vertraut auf Gott, wie auch die heutige Lesung belegt (Jer 20, 10-13). Es ist eine Stelle aus dem fünften Klagetext im Buch Jeremia. Die Klagetexte zeugen von einem intensiven Ringen Jeremias“ mit Gott.
„Singt dem Herrn, rühmt den Herrn; denn er rettet das Leben des Armen aus der Hand der Übeltäter.“
Gott rettet aus der Hand des Übeltäters, heißt es im Klagetext, nachdem Jeremia sich kurz davor wegen seiner Verpflichtung zur Gottesrede leid tut: „Zum Gespött bin ich geworden, den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja sooft ich rede, muss ich schreien, Gewalt und Unterdrückung! muss ich rufen.“ (Jer 20, 7b,8a)
Gott als Retter – auf ihn vertraut auch Jesus. Und dennoch rettet Gott sein irdisches Leben nicht vor der tödlichen Verfolgung. Die Geschichte der Menschheit ist übersät mit Verfolgungen von Menschen, die an Gott festhalten, auf ihn vertrauen. Sie werden und wurden ausgestoßen, erniedrigt, misshandelt, verurteilt, ermordet.
Wie kann Jeremia vor dem Hintergrund dieser auch schon damaligen Erfahrung von der Rettung aus der Hand der Übeltäter beten?
Im Evangelium berichtet Johannes wieder davon, dass die „Frommen“ nach Steinen greifen, um Jesus zu toten. Jesus fragt sie, für welches der guten Werke sie ihn steinigen wollen. Ihre Antwort kümmert sich nicht um das Gute, das Jesus getan hat, sie werfen ihm voll Zorn Gotteslästerung vor. Er habe sich selbst zu Gott gemacht, durch seine wiederholte Rede von seiner Beziehung zum Vater. Jesus gelingt auch dieses Mal die Flucht. (Joh 10, 31-42)
„Aber wenn ich sie [die Werke] vollbringe, dann glaubt wenigstens den Werken, wenn ihr mir nicht glaubt.“
Der Herr rettet das Leben des Armen aus der Hand der Übeltäter. – Gewiss gibt es auch wunderbare Rettungs-Erfahrungen. Doch der Gang der Geschichte und der Gang jeder einzelnen Lebensgeschichte weiß wenig von solch Wunderbarem, zumindest zeigt es sich kaum während des Lebens eines Menschen. Ist die Rede von der Rettung also frommes Geschwafel?
Der Glaube an die Auferstehung weist diese Sicht zurück. Es kommt zur Rettung, wir werden auferstehen. Die Auferstehung ist eine Widerstehung allem Leid, allen Zweifeln, allen unerreichten Hoffnungen.
Aber mit diesem Hinweis auf das ewige Leben will ich mich noch nicht aus der Reflexion der beiden Lesungstexte zurückziehen. Sie müssen doch auch schon hier und jetzt etwas bedeuten, für mich, für uns etwas bedeuten:
Ich verweile bei den Sätzen der Verteidigungsrede Jesu. Wenn die aufgebrachte Menge schon seiner Gottesrede nicht Glauben schenken mag, dann sollte sie sich doch von seinen guten Werken überzeugen lassen, sagt Jesus.
Das ist für mich der Stachel im Fleisch des Glaubens und gewiss auch in der Kirche:
Nur wie wir leben und was wir tun, kann von Gott reden, nicht die klügsten Worte werden ihn bezeugen. Auch die Werke können erfolglose Glaubenszeugen sein, Worte allein sind es aber jedenfalls. Ein Wort ohne Tun heilt nicht. Mit Worten allein werden wir mitunter sogar zu den Übeltätern, aus deren Hand gerettet zu werden, Jeremias fleht.
7. April
Die Lesung (Gen 17, 1a.3-9) hat den Bundes-Schluss Gottes mit Abraham („Vater der Menge“) und seinen nachkommenden Generationen zum Thema. Gott schließt einen ewigen Bund.
Aus dem Evangelium (Joh 8, 51-59)
„Wenn jemand an meinem Wort festhält, wird er auf ewig den Tod nicht schauen.“
Die „Frommen“ streiten wieder mit Jesus. Am Ende des Streits wird es für Jesus gefährlich. („Fromme“ ist nicht das Wort in der Bibel. Ich verwende es, wenn Jesus mit Juden, Schriftgelehrten und Pharisäern im Tempel spricht. Oft sind es für Jesus gefährliche, jedenfalls ihn anfeindende Gespräche.)
Die „Frommen“ werfen Jesus vor, sich anzumaßen, größer als Stammvater Abraham zu sein. Der sei gestorben, und jetzt trete er, Jesus, auf und sage, wer an seinem Wort festhalte, werde ewig nicht sterben. Die Auseinandersetzung endet, als die „Frommen“ Jesus steinigen wollen. Er kann sich noch verstecken. …
Auf ewig den Tod nicht schauen. – An dieser Aussage stoßen sich alle Realisten, denn nichts ist sicherer als der Tod. „Ich muss nichts, außer sterben“, hört man oft Menschen, die damit ihre Freiheit im Leben verteidigen. Jesus aber verteidigt die Würde, das Geliebt-Sein durch Gott, das Geborgen-Sein in Gott über den Tod hinaus. Und er nimmt den Tod ins Leben. Schon im Leben können wir vom Tod befreit sein, können die uns lähmende Angst vor dem Tod ablegen. Das heißt nicht, sich vorm Sterben nicht zu fürchten – auch Jesus hatte am Ölberg Todesangst. Es heißt aber: auf die Geborgenheit in Gott über das Leben hinaus zu vertrauen, daran zu glauben. Das Vertrauen befreit mich von der Angst, alles zu verlieren, letztlich ein sinnloses Leben geführt zu haben. Zu vertrauen, dass sich mein Leben in ein Leben in Fülle wandelt – befreit von aller Angst, geheilt von allem Schmerz. In diesem Vertrauen können wir jetzt schon leben, wozu wir gedacht sind – miteinander und füreinander, zusammen, verträglich mit allen und allem, was lebt. Gut leben!
6. April
Im Evangelium (Joh 8, 31-42) ist Jesus erneut mit dem Hass gegen ihn und dem Nicht-Vertrauen auf ihn, das die „Frommen“ leben, konfrontiert.
Ich werfe heute meinen Gedankenanker aber in der Lesung aus;
(Dan 3, 14-21.49.91-92.95)
Der babylonische König Nebukadnezar fordert die hebräischen jungen Männer Schadrach, Meschach und Abed-Nego auf, vor Stanbildern seiner Götter niederzuknien, wenn nicht, werde er sie in den Feuerofen werfen. Dann könne sie ja ihr Gott aus dem Ofen retten. Die drei weigern sich trotz dieser Drohung:
„Wenn überhaupt jemand, so kann nur unser Gott, den wir verehren, uns erretten; auch aus dem glühenden Feuerofen und aus deiner Hand, König, kann er uns retten.“
Nebukadnezar lässt sie daraufhin in den Ofen werfen. Dort verbrennen sie aber nicht. Die Lesung ist eine wesentlich gekürzte Fassung der gesamten Geschichte vom Wunder im Feuerofen. So fehlt der lange Abschnitt des Loblieds, das die drei im Ofen beten. Es erinnert mich in etlichen Passagen an den Sonnengesang des hl. Franziskus. Wer das Loblied der drei nachlesen will: Dan 3,51-90
Die Rettung der drei beeindruckt Nebukadnezar so sehr, dass er bekehrt den Gott der Hebräer preist.
Das Loblied ist ein Zeugnis großen Gottvertrauens und tiefer Gottesfurcht. Es ist eine Gottesfurcht, die Gottesfreude heißen müsste. Aber es ist nicht in die Lesung aufgenommen. Doch auch im Lesungstext bleibe ich an einer Stelle im Anschluss an die oben zitierte Stelle hängen:
„Tut er es aber nicht, so sollst du, König, wissen: Auch dann verehren wir deine Götter nicht und beten das goldene Standbild nicht an, das du errichtet hast.“
Die drei Hebräer sind ein frühes Zeugnis gegen die in den Religionen weit verbreitete Treue zu Gott, die sich an dessen Wunder bindet. Bei den Dreien ist es nicht der Wunder-Glaube, der sie nicht wanken lässt, es müssen tiefe Erfahrungen der Nähe Gottes gewesen sein, Eines Gottes, der da ist. Ein Gott, dem sie glauben können, das heißt: vertrauen wollen.
5. April
In den Lesungen geht es um das Nicht-Glauben – das Nicht-Vertrauen – und um die Reaktion darauf. Der Gott des ersten Testaments reagiert, wie es die Götter der damaligen Zeit alle taten: wüten und sich rächen. Aber er lässt sich dann auch wieder erweichen.
Im zweiten Testament wird Jesu Reaktion darauf geschildert, dass ihn die Pharisäer in seiner Rede über sein vom Vater Gesendet-Sein nicht verstehen, ihm nicht vertrauen. (Ein Nicht-Vertrauen, das Jesus tötet.)
Die Lesung (Num 21, 4-9) erzählt vom Murren der Israeliten gegen Gott nach der Flucht aus Ägypten auf dem Weg durch die Wüste. Die Strafe Gottes ist brutal:
„Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben.“
Dìe Israeliten bedrängen Mose, Gott zu besänftigen. Mose tut, was ihm der um Gnade angeflehte Gott, sagt. Er macht eine Schlange aus Kupfer und hängt sie auf einer Fahnenstange auf. Wer ab nun von einer Schlange gebissen wird, soll zur Schlange aufschauen und bleibt am Leben.
Ich sehe in diesem eigenartigen Rat ein Bild, das den Weg beschreibt, wie mit eigenem Fehlverhalten umzugehen wäre: es erkennen (anschauen) und zu den Folgen stehen.
In der im Evangelium (Joh 8, 21-30) überlieferten Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern sagt Jesus, sie, die Pharisäer, seien unbekehrbar, sie würden in Sünde sterben. Würden sie ihm vertrauen („den Menschensohn erhöhen“), würden sie erkennen, dass er nichts aus Eigenem tut, sondern nur sagt was ihm der Vater gelehrt hat.
Ich lese diese Stelle (in Sünde sterben) als Aussage über das unentfaltbare Leben der Pharisäer, der Vertrauens-Verweigerer: Weil sie nicht vertrauen können, werden sie ihr Leben bis zum Tod in der Gefangenschaft der eigenen Hartherzigkeit verbringen – in der Gefangenschaft des falschen Glaubensverständnisses, des Nicht-Vertrauens auf einen gütigen Gott.
In der Rede Jesu fallen Worte, die mich zum Verweilen mit ihnen veranlassen:
„Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt.“
Gott lässt nicht allein. Er ist der, der da ist. Nicht als Zauberer, nicht als Schutzschild gegen alles Bedrohende, nicht einmal gegen den Tod. Aber als Mitgehender, Mitleidender, Mitfeiernder. Und schließlich als Mithinübergehender in das gute Leben. So sehe ich meinen Glauben: als Vertrauen auf einen mir und allen zugewandten Gott.
4. April
Aus der Lesung (Dan 13, 1-9.15-17.19-30.33-62)
Daniel rettet mit einem klugen Verhör die schöne und gottesfürchtige Susanne vor dem Tod. Zu diesen verurteilten sie die zwei Ältesten, die sie begehrten, ihr auflauerten und dann vergewaltigen wollten.
[die zwei Ältesten] „sagten: Das Gartentor ist verschlossen, und niemand sieht uns; wir brennen vor Verlangen nach dir: Sei uns zu Willen, und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war …“
Susanne aber schrie und wurde wegen der Aussage der beiden zum Tod verurteilt. Doch Daniel hat sie gerettet.
Aus dem Evangelium (Joh 8, 12-20)
„Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über keinen. Wenn ich aber urteile, ist mein Urteil gültig; denn ich urteile nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.“
Im Evangelium führt Jesus wieder eine Auseinandersetzung mit Pharisäern. Sie sagen ihm, wenn er sich selbst als Licht bezeuge, sei das nichts wert, es brauche immer zwei Zeugen. Und als Jesus auf sich und seinen Vater hinweist, lehnen die Pharisäer das als gültige Zeugenschaft ab, weil niemand wisse, woher Jesus kommt.
Mich fordert der Satz „Ich urteile aber über keinen …“ heraus nachzusinnen. – Wie rasch sind wir mit einem Urteil zur Stelle! Oft mit einem vernichtenden. Und wie oft gründet das Urteil von Menschen, das sie leichtfertig über andere sprechen, auf Täuschungen! Gar: wie viele unserer Verurteilungen von angeblich Bösem kommen aus der List, unser eigenes Böses zu verstecken?
„Ich urteile nicht allein, sondern ich und der Vater“, sagt Jesus. – Wir sollten das Urteilen bei Gott lassen. Bei der Güte. Dann kommt es nicht zu Verurteilungen, sondern zu einer klaren Fehler-Ansprache, zu einem Urteil, dass den Weg zur Besserung zeigt.
3. April, Passionssonntag
Aus der 1. Lesung (Jes 43, 16–21)
„Der Herr spricht: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues.“
Aus der 2. Lesung (Phil 3, 8–14)
„Nicht meine Gerechtigkeit will ich haben, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott schenkt aufgrund des Glaubens.“
Aus dem Evangelium (Joh 8, 1–11)
Johannes überliefert, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer zu Jesus, der im Tempel lehrte, eine auf frischer Tat ertappte Ehebrecherin bringen. Sie fragten Jesu:
„Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“
Darauf spricht Jesus den berühmten Satz:
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“
Nacheinander schleichen alle davon. Nur die Frau ist noch da. Jesus, der während dieser Zeit am Boden schrieb,
„richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Welch radikale Umkehr im Gottesverständnis. Der Gott des Gesetzes (wie in Moses verstand) wird zum Gott, der barmherzig den Menschen und seinen Schwächen zugewandt ist (wie ihn Jesus kennt). Das müsste bis in alle Kirchengemeinden, in alle Gläubigen sickern: Glauben heißt die Barmherzigkeit annehmen, sie zu hoffen. Und heißt nicht, vom Thron herab zu verurteilen. Von Jesaja können wir uns in diesem Glauben, dieser Hoffnung stärken lassen: „was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues.“
2. April
Aus der Lesung (Jer 11, 18-20, 1. Klagelieder)
„Ich selbst war wie ein zutrauliches Lamm, das zum Schlachten geführt wird, und ahnte nicht, dass sie gegen mich Böses planten.“
Aus dem Evangelium (Joh 7, 40-53)
„Als die Gerichtsdiener zu den Hohenpriestern und den Pharisäern zurückkamen, fragten diese: Warum habt ihr ihn nicht hergebracht? Die Gerichtsdiener antworteten: Noch nie hat ein Mensch so gesprochen.“
Die Texte von Lesung und Evangelium steuern auf den Karfreitag zu. In der Lesung aus dem Alten Testament klagt Jeremia, dass ihm die Leute nach dem Leben trachten, weil er als Prophet auftritt. Er ist mit dieser Reaktion der „Glaubenshüter“ konfrontiert, der auch Jesus ausgesetzt war, wovon das heutige Evangelium berichtet.
Doch die Gerichtsdiener, die ausgeschickt waren, Jesus vor Gericht zu bringen, kehren unverrichteter Dinge zurück. Sie sagen zu ihrer Entschuldigung, dass noch nie ein Mensch so gesprochen habe.
Hier setze ich mit dem Lesen ab. – Was und wie hat Jesus gesprochen? Ich horche Texten nach, die in mir aus dem Auftreten Jesu klingen. Es sind alles Texte der Zuwendung Gottes, Texte die zur Versöhnung aufrufen … Die Texte, die die Glaubenshüter auf Punkt und Beistrich betonten, stellten einen strafenden, zornigen, wütenden Gott vor. Jesus weist auf einen gütigen, den Menschen verbundenen Gott hin. Das hörten auch wir herauf bis in unsere Zeit viel zu wenig. Würden wir besser hören, müssten wir vom Verurteilen der Nicht-Rechtgläubigkeit auch in der Kirche ablassen.
1. April
Als ich in der Pfarre Christkönig in Linz aktiv war, hat der damalige Pfarrer Rudi Wolfsberger bei mancher Gelegenheit die Methode „Bibel teilen“ mit uns geübt: Wir lasen einen Bibeltext in der Runde laut, dann jede und jeder still für sich. Schließlich war die Aufgabe, einen Satz im Bibeltext auszuwählen und diesen dann in der Runde zu sagen. So hörten wir, ohne zu kommentieren, wie viel Verschiedenes bei den Lesenden besonders angekommen ist. Diese Methode wende ich hier bei meinen Reflexionen zu den Tageslesungen auch an. Selbst in den „schwierigsten“ Texten werde ich fündig.
Die heutigen Texte sind für mich „schwierige“. An einer Stelle der Lesung bin ich aber „hängengeblieben“.
Zuvor fasse ich das Evangelium zusammen, das ja sehr mit der Lesung korrespondiert:
Das Evangelium (Joh 7, 1-2.10.25-30) erzählt, wie Jesus zunächst Jerusalem meidet, weil er wusste, dass ihm dort nach dem Leben getrachtet wird. Dann entschließt er sich doch, zum Laubhüttenfest nach Jerusalem hinauf zu gehen und sich dem Argwohn der „Frommen“ zu stellen. Einige erkennen ihn und reden schlecht über ihn. Es geht um die Messias-Frage. Jesus lehrt im Tempel und betont wieder gegen den Argwohn, dass er gesandt ist. Das ärgert die „Frommen“ und sie wollen ihn ergreifen, wagen es aber (noch) nicht.
Die Lesung ist aus dem Buch der Weisheit (Weish 2, 1a.12-22)
„Die Frevler tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und […]“
dann zählt der Text manche Überlegungen der Frevler auf, sich des Gerechten zu entledigen, der ihrer „Gesinnung ein lebendiger Vorwurf“ ist. Aber:
„So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit macht sie blind. Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts […]“
Die blindmachende Schlechtigkeit steht dem Verstehen entgegen. Das trifft wohl nicht nur auf den Glauben zu, sondern beschreibt auch das grundsätzliche Hindernis, einander zu verstehen. Sobald Menschen über andere schlecht denken, können sie diese nicht mehr verstehen. Sie bemühen sich gar nicht um Verständnis. Das schlechte Denken über andere ist eine Sünde wider die Gemeinschaft. Sie geht auch bis zum Äußersten, zerstört Leben, das gute Leben. Und diese Sünde hat Jesus dem Tod ausgeliefert.
31. März
Die heutigen Lesungen wollen nicht recht Zugang zu mir finden.
Die Lesung (Ex 32,7-14) stellt einen ob des Glaubensabfall des Vpöles Israel wütenden Gott vor. Moses muss ihn besänftigen.
Das Alte Testament ist aus den Glaubens-Erfahrungen und mit den Glaubens-Vorstellungen dieser Zeit entstanden. Es bezeugt das Verhältnis Israels zu seinem Gott. Gott wird – wie die Götter rund um Israel – nicht nur als Befreier aus Ägypten, als dem Volk zugewandt, sondern immer wieder auch als zornig, rach- und eifersüchtig gedacht. Ein sehr menschlicher Gott.
Im Evangelium (Joh 5,31-47) liest Jesus den Juden, die zu ihm kommen, die Leviten. Ein zorniger Jesus beklagt den Unglauben der Menschen, dass sie nicht glauben wollen, dass er vom Vater gesandt ist.
In den Lesungen verharre ich nachdenklich bei zwei Sätzen. Zum ersten beim Schlusssatz der Lesung:
„Da ließ sich der Herr das Böse reuen, das er seinem Volk angedroht hatte.“
Und zum Zweiten bei einem Mahnwort Jesu im Evangelium:
„Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt?“
„Der Herr ließ sich das Böse reuen“ – das ist gegen alle Gottesbilder der damaligen Zeit eine besondere Gotteserfahrung: Gott muss nicht durch Opfer besänftigt werden, er hört hin, was die Menschen (in diesem Fall Moses) bewegt. Gott ist nicht fern, er ist zugängig. Für mich ist das Verhandeln Mose mit Gott ein Beten. Beten als ein Sich-ganz-Gott-Stellen, ein Nicht-Verstellen. Dazu gehört alles, was mich bewegt. Die Not, der Zweifel wie auch Freude und Wunsch.
Jesus fragt auch uns im Evangelium: wie wir zum Glauben kommen wollen, wenn wir unsere Ehre voneinander empfangen. Die Frage stellt er zwar in die damalige Zeit der leichtgläubigen Anhängerschaft an „Propheten“ und „Messiase“ hinein, in mir aber wühlen sie Zusätzliches auf:
Die ehrsüchtige Welt, die Welt des Gesehen-und-Bewundert-Werdens, die Welt, die danach strebt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, steht sich selbst im Weg, steht dem Glauben im Weg. Sie steht sich im Weg, weil sie sich zu groß denkt und hinter ihre Größe nicht mehr schauen kann.
30. März
Lesung (Jes 49,8-15) und Evangelium (Joh 5, 17-30) weisen auf das heilende Handeln Gottes hin. Jesaja spricht von einer Zeit der Gnade und einem Tag der Rettung, an dem unter anderem die Gefangenen aus den Gefängnissen und jene, die im Finstern sind, ans Licht geholt werden. Johannes berichtet von einer Widerrede Jesu, die die religiösen Eiferer in der Absicht festigte, ihn zu töten. Es machte sie zornig, dass Jesus Gott seinen Vater nannte und sich ihm damit gleichstellte. Jesus betont dieses sein Sohn-Vater-Verhältnis zu Gott unter anderem so:
„Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. […] Wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will.“
Gott bleibt an der Seite der Menschen. Mit Jesus werden sie lebendig. Darauf kann ich mich verlassen, auch wenn ich Gott verlasse. So heißt es am Schluss der Lesung aus dem Buch Jesaja als Gottes Antwort auf die Klage des Volkes, von ihm verlassen worden zu sein:
„Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht.“
Die heutigen Lesungstexte sind für mich Zeugnisse der besonderen, aufrichtenden Verbundenheit Gottes mit den Menschen und der Sehnsucht Gottes nach den Menschen, die er nicht vergisst …
Der Beginn des heutigen Evangeliums nach Johannes lässt mich noch länger in Gedanken verweilen. Es heißt dort:
„In jener Zeit entgegnete Jesus den Juden: Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk.“
Diese Worte stoßen mich an, die Schöpfung als nicht abgeschlossen und als ein fortwährendes Werk zu begreifen. Wenn es so ist, nimmt uns der Vater Gott, die Mutter Gott als seine/ihre Töchter und Söhne in die Pflicht, am Werden mitzuwirken.
Mit Blick auf die Lesung von heute heißt das unter anderem, das Unsere beizutragen, dass wird, was dort den Menschen verheißen ist:
„Sie leiden weder Hunger noch Durst, Hitze und Sonnenglut schaden ihnen nicht. Denn er leitet sie voll Erbarmen und führt sie zu sprudelnden Quellen.“
Wie viele sprudelnde Quellen gibt es im Raum der Kirche? Und wie freizügig gewähren wir Zugang zu ihnen? Wie viele, die dürsten, nehmen wir gar nicht wahr?
Ich hab so viele Fragen. Und ich hoffe …
29. März
Eine Stelle aus dem Evangelium (Joh 5, 1-16, Jesus heilt einen seit fast 40 Jahren kranken Mann)
„Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Bahre und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Bahre und ging. Dieser Tag war aber ein Sabbat. Da sagten die Juden zu dem Geheilten: Es ist Sabbat, du darfst deine Bahre nicht tragen. […]“
Die selbstgerechten Frommen, die Gesetzes“treuen“ sind den Religionen mehr Gift als die Nicht-Frommen. Der gläubige Mensch, der seine Mitmenschen mit frommen Sprüchen züchtigt, lenkt mehr von Gott ab, als der sogenannte Ungläubige, der Menschen Gutes tut, auf Gott hinweist.
Jesus hat gegen diese falsche Frömmigkeit gelebt und gehandelt. Das hat ihn ans Kreuz gebracht.
Ich sinniere: wie viel Kreuz haben Christen schon unter Berufung auf den (falsch verstandenen) Glauben in die Welt gebracht?
28. März
Lesung (Jes 65, 17-21)
„So spricht der Herr: […] ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubeln über das, was ich erschaffe. Denn ich mache aus Jerusalem Jubel und aus seinen Einwohnern Freude. […] Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen, sie werden Reben pflanzen und selbst ihre Früchte genießen.“
Das neue Jerusalem, der neue Himmel, die neue Erde – wann werden sie kommen? Für wen? Den Schluss des Kapitels 65 im Buch Jesaja (Vers 25) gibt mir eine Antwort darauf:
„Wolf und Lamm weiden zusammen, und der Löwe frisst Stroh wie das Rind, doch der Schlange Nahrung ist der Staub. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr.“
Das neue Jerusalem, die neue Erde, ist keine zeitliche Aussage, sondern eine Beschreibung des Möglichen. Es ist erreichbar, in Frieden zu leben und nicht in einer Jagdgesellschaft des gegenseitigen Misstrauens, des Neids und der Habsucht. Das wird kein Schlaraffenland des Nichts-Tuns Es wird Anstrengung brauchen – Häuser bauen, Reben pflanzen und pflegen. – Es ist eine mit Ernte, Jubel und Freude belohnte Mühe. Wo die Menschen einander nichts Böses tun, kann man sich gut miteinander und füreinander freuen.
Es ist möglich! – Dieses Vertrauen springt mich aus dem Text an.
27. März, Laetare Sonntag
Im Eröffnungsvers des heutigen Gottesdienstes wird Jes 66,10-11 gelesen:
„Freue dich, Stadt Jerusalem! Seid fröhlich zusammen mit ihr, alle, die ihr traurig wart. Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung.“
Nach diesem Eingangstext hat der Sonntag auch seinen Namen: Laetare-Sonntag, das heißt in der Übersetzung aus dem Lateinischen: Freudensonntag
Die Lesungstexte thematisieren die Freude am Glauben. In der ersten Lesung ist die Rede, wie die Israeliten die Befreiung aus der ägyptischen Gefangenschaft feiern (Jos 5, 9a.10–12). In der zweiten Lesung (2 Kor 5, 17–21) schreibt Paulus von der versöhnten Welt – Gott hat unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet. Paulus appelliert dann:
„Lasst euch mit Gott versöhnen!“
Im Lukasevangelium (Lk 15, 1–3.11–32) erzählt Jesus das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Die zentrale Aussage des Gleichnisses ist die Freude des Vaters, dass sein Sohn wieder zurückgekehrt ist.
Meine besondere Aufmerksamkeit gilt den Sätzen, mit denen im Evangelium eingeleitet wird, wie es dazu kam, dass Jesus das Gleichnis erzählte:
„In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.“
Das verstehe ich als die Freudenbotschaft (Evangelium): Das Reich Gottes bedeutet Gemeinschaft mit allen, kein Ausschluss der Sünder. Und es bedeutet: feiern, Freude stiften. Wenn Paulus von Versöhnung schreibt, dann meint er wohl die Versöhnung durch Zuwendung. Er meint das große Miteinander!
26. März
Die Lesung (Hos 6, 1-6) ist eine Sammlung verschiedener Gottesvorstellungen, zwischen denen das Volk des Ersten Testaments hin- und hergerissen ist.
Im Evangelium überliefert Lukas (Lk 18, 9-14), wie Jesus das Gleichnis vom unterschiedlichen Gebet eines Pharisäers und eines Zöllners ezählt. Der Pharisäer betonr, wie gesetzestreu durch seine Opfer er lebt. Der Zöllner bittet dagegen demütig um Gnade. Im Schluss-Satz dieser Evangeliums-Stelle vergleicht Jesus die Haltung der beiden:
„[…] wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Mich fordert die Lesung aus dem AT heraus, weil der Text einige ganz unterschiedliche Vorstellungen von Gott bringt. Am Beginn ist die Rede von Gott als Verursacher – für Unheil und Heil:
„Kommt, wir kehren zum Herrn zurück! Denn er hat Wunden gerissen, er wird uns auch heilen; er hat verwundet, er wird auch verbinden. […]“
Im Mittelteil wird von Gott als dem Gewissesten geredet:
„Lasst uns streben nach Erkenntnis, nach der Erkenntnis des Herrn. Er kommt so sicher wie das Morgenrot; er kommt zu uns wie der Regen, wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt.“
Die letzten Sätze stellen einen wütenden Gott vor, der dann aber nach Liebe statt Opfer schreit:
„Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht. Darum schlage ich drein durch die Propheten, ich töte sie durch die Worte meines Mundes. Dann leuchtet mein Recht auf wie das Licht. Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer.“
Lesung und Evangelium verstehe ich als Streitreden/Streitschriften gegen einen Formel-Glauben, dessen oberste Richtschnur die Opfer sind. Denn schon im ersten Testament wischt Gott diese Opfergesinnung vom Tisch der Selbstbeweihräucherung. Es braucht den Tisch der Ge einschaft mit Gott und den Menschen, einen Tisch der Liebe. Paulus formuliert diese Essenz des Glaubens einmal unter andereml so (1 Kor 13,2):
“ […] wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts.“
25. März
„Maria Verkündigung“, so heißt der Tag traditionell. „Verkündigung des Herrn“, ist die kirchenamtliche Benennung des Festes.
Heute wird meine Reflexion schwierig, für mich schwierig.
Die Lesungs-Texte konfrontieren mich mit zwei unfassbaren Glaubens“wahrheiten“ – mit der Jungfrauengeburt und mit dem Sühnopfer Jesu. Egal, was ich reflektiere, es muss zu einem Widerspruch zum leicht hingeplapperten Glaubens-Bekennen kommen. Aber ich kann mich nicht davor drücken und gehe auf die Aussage der zweiten Lesung näher ein. Zunächst aber eine knappe Inhaltsangabe der drei heutigen Bibeltexte:
Die Jungfrauengeburt kündigt Jesaja In der Lesung aus dem AT (Jes 7,10-14) als Zeichen Gottes an und in der Überlieferung des Lukasevangeöiums der Engel Gabriel Maria (Lk 1,26-38).
Die neutestamentliche Lesung (Hebr 10, 4–10) thematisiert das Sühnopfer.
Ich lasse mich nun auf diese Stelle im Hebräerbrief ein.
Wie viel haben Lehramt und Theologie investiert in die Lehre vom Sühnopfer, in die Rede über Jesus, der gestorben ist, um uns zu retten. Ich habe mich gegen dieses Gottesbild von Jugend an aufgelehnt. Was, so dachte mein herausgeforderter Glaube, braucht Gott ein Menschenopfer, noch dazu ein stellvertretendes, das seines Sohnes, um uns vom ewigen Verderben zu retten? Er, der liebe Gott, der barmherzige, könne erst durch eine unmenschliche Grausamkeit mit mir, mit dir, mit uns allen versöhnt werden? Versöhnt mit den Menschen die er nach seinem Bild geschaffen hat? So steht es doch in der Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27): „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“
Über seine Schöpfung soll Er so wütend sein, dass Er sich nur durch ein grausames Opfer besänftigen ließe? – Das kann ich nicht glauben. Das ist nicht der Gott an meiner Seite. Nicht der Gott, der „Ich bin“ ist.
Auf der Suche nach theologischen Erklärungen zu Leben und Tod Jesu habe ich Gott sei Dank reiche Funde im Theologie-Schatz der Kirche gefunden. Den Tod Jesu kann ich nun begreifen als Konsequenz seiner Botschaft vom barmherzigen Gott, die der Furcht- umd Drohreligion widerspricht, widerlebt, wenn diese sich mit Opfer- Vorschriften austobt und nicht vermittelt, dass es um Gemeinschaft geht. Wenn diese nicht das Beispiel Jesu aufnimmt, der Gesetze versteht, dass sie für den Menschen da sind und nicht der Mensch für sie. Jesus nimmt für diese seine Verkündigung durch Handeln seine eigene Verfolgung bis in den Tod in Kauf. Für eine Verkündigung des liebenden Gottes, der uns um die gegenseitigen Liebe anbettelt. Das Lamm erlöst uns nicht, indem es unsere Sünden auf sich nimmt. Es erlöst uns, indem es uns trotz/mit aller Schuld liebt und uns zur Liebe anstiftet.
Mit dieser „Brille“ lese ich nun ein paar Sätze aus dem Hebräerbrief:
„Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden; dann aber hat er gesagt: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun. Er hebt das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen. Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt – ein für alle Mal.“
Wir sind zur Liebe geheiligt, erlöst ins Sein.
24. März
Aus dem Evangelium
(Lk 11,14-23)
„Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“
Mit diesem Satz schließt das Evangelium. Es berichtet davon, wie Jesus einen Dämon austreibt, und wie bösartig daraufhin einige Menschen reagieren, Jesus verdächtigen, im Bund mit Beelzebub, dem Oberdämon zu stehen.
Diese Jesusgeschichte gehört nicht zu jenen, die mir ohne viel nachdenken zu müssen, sofort das Herz öffnen. Ich überlese sie mehr, als ich sie lese – bis auf den Schluss-Satz, eigentlich seinen Schlussteil. Er wühlt weiter in mir: „wer nicht mit mir sammelr, der zerstreut.“
Indem der Satz in mich sickert, fühle ich die herausgehobene Stellung des „Sammelns“ immer stärker: Sich an Jesus zu orientieren, verstehe ich dann auch oder besonders als Sammlungs-Aufruf: Brücken zu schlagen, Versprengten nachzugehen, Gemeinschaft zu formen. Sammeln ist eine Grundfunktion von Kirche und Pfarre. Das heißt dann, sich nicht in Gruppen zu separieren, nicht nach je besonderem Glaubens-Geschmack aufzuspalten, sondern allen zugewandt den Zugang zur Gemeinde offen zu halten. Nicht Glauben in Geschmacksrichtungen zu zerstäuben, sondern Platz am Tisch für alle zu machen. Platz am Tisch und in der Küche und im Ruhegarten und …
23. März
Beide Lesungen des heutigen Tages stellen das Gesetz und die Gesetzestreue in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Die Lesung aus dem AT ist ein Auszug aus der Gesetzespredigt von Mose, die dieser vor seinem Tod hielt (Dtn 4,1.5-9). Im Evangelium (Mt 5, 17-19)
lehrt Jesus, er sei nicht gekommen, das Gesetz der Propheten aufzuheben.
Über Gesetze und Gesetzestreue lesen wir in den Schriften viel. Ich verweile heute aber bei zwei Textpassagen – einer aus der Lesung und einer aus dem Evangelium – die mir scheinen, in der religiösen Rede: „Haltet die Gesetze!“ ziemlich oft unterzugehen. Doch sie wären so tröstlich.
Zunächst aus Dtn 4,1.5-9:
„Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen?“
Gott ist nahe, immer. Das kann keine Religion so sagen, wie es Israel aus seiner Erfahrung weiß. Es geht um viel mehr als um Vorschriften und Gebote. – Im Zentrum steht die Nähe Gottes zu den Menschen!
Und aus Mt 5, 17-19:
„Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“
Der religiöse Mensch von damals, als Jesus lehrte, und auch von heute, ist darauf trainiert, Drohbotschaften zu hören. Wer sich nicht ans Gesetz hält, dem droht ewiges Feuer, ewiges Verderben. Diese Rolle Gottes, als Schrecken verbreitender Tribun dafür zu sorgen, dass die Menschen abgeschreckt werden, Schlimmes zu tun, ist bis heute „Unterrichtsgegenstand“ der Glaubensvermuttlung. Wenn wir das Jesuswort von heute aber achtsam lesen, ist da keine Rede von Strafe, gar ewigem Verderben. Jesus denkt nicht daran, mit dem Verlust eines Platzes im Himmel zu drohen. Er sagt nur: den Logenplatz könnt ihr euch abschminken.
Und auch diesen Logenplatz verstehe ich nicht als Ort in der Ewigkeit, sondern als Zustand in mir, in den zu kommen, immer aufs Neue an mir liegt: Der Platz in mir, an dem Gott auf mich wartet. Der Platz des Einklangs mit mir, meiner Umwelt und Gott.
22. März
Die Lesung aus dem AT und das Evangelium von heute pendeln zwischen dem Erbarmen sowie der Milde Gottes und dem strafenden, zürnenden Gott. Ohne seinen Zorn kann sich Religion Gott offensichtlich nicht denken.
In der Lesung des AT (Dan 3, 25.34-43) betet Asarja, der weiß, Israel kann nichts, kein Opfer vor Gott bringen, dieser möge das dem Volk nicht übel anrechnen, sondern Milde zeigen:
„[…] handle an uns nach deiner Milde, nach deinem überreichen Erbarmen!,“
Um Milde flehen auch zwei Diener, von denen Jesus in einem Gleichnis vom Himmelreich erzählt (Mt 18, 21-35).
Der Herr lässt einem von ihnen einen großen Berg Schulden nach. Dieser aber handelt an einem zweiten, der ihm viel weniger schuldet, mit aller Härte. Als der Herr das erfährt, wird er zornig und:
„übergab ihn […] den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.“
Jesus erzählt das Gleichnis, nachdem ihn Petrus fragt, wie oft er seinem Bruder vergeben müsse, wenn dieser sich gegen ihn versündigt habe.“ Petrus schickt seiner Frage auch gleich eine vermutete Antwort in Form einer Frage nach: „Siebenmal“?
„Siebenundsiebzigmal“ antwortet Jesus. Siebenundsiebzigmal ist ein Hilfs-Wort für „immer wieder“. So oft und so schwer darf kein Schuldig-Werden an mir werden, dass ich nicht die Hand zur Versöhnung ausstrecken soll. Ein unversöhnter Mensch liefert sich den Folterknechten der eigenen Bitterkeit aus.
Mir sagt Jesus mit diesem Gleichnis nichts über eine Gotteswütigkeit gegen sündhafte Menschen, mir sagt er: Versöhnt Euch, versöhnt euch, versöhnt euch! Kein Leben kann gut gelingen in Unversöhntheit!
Wohin Unversöhntheit führt, erleben wir tatäglich im eigenen Umfeld und in der „großen“ Welt.
21. März
Guten Morgen mit Gedanken zu Stellen aus den heutigen Lesungstexten, 21. März und grundsätzlich zum Glauben.
2 Kön 5, 1-15a
In der AT-Lesung heilt Elischa, Prophet Israels, den aussätzigen Naaman, den Feldherrn des Königs von Aman, Syrien.
Im Evangelium (Lk 4, 24-30) nimmt Jesus als Lehrender in der Synagoge auf diesen AT-Text Bezug. Dabei fallen die bekannten Worte:
„Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.“
Das Jesuswort wurde zum geflügelten Wort. Menschen tragen es als Schild vor sich her, um zu sagen, sie wären eh so erleuchtet, nur ihre Umgebung will es nicht wahrhaben.
Mir geht es jedoch nicht um die „verkannten“ Propheten. Mir geht es um den verkannten Gott.
Seit Jahrtausenden braucht es Wunder, Zauber, um Menschen glaubend zu machen oder bei der Glaubensstange zu halten.
Was, wenn Gott auch von mir Wunder bräuchte, um da zu bleiben als „Ich bin“ an deiner Seite?
Wozu ist Gott gut, fragte mich kürzlich eine alte Frau, die seit mehr als 30 Jahren ein körperlich und psychisch, oft auch seelisch armseliges Leben führt/führen muss. Wozu ist Gott gut, wenn er eh nicht hilft? Das können nur Menschen sagen. Wozu ist der Mensch gut, hören wir Gott nicht klagen.
Aber diese Gottes-Frage ist eine Jahrtausende alte Frage, die lange vor Jesus existierte und mit der auch Jesus gequält wurde: Gott, wozu bist Du gut, außer dazu, unser Leben schön zu machen und – wenn es nicht gut läuft – mit einem Wunder, durch Zauber wieder alles ins Lot zu bringen?
Jesus lebt die Antwort vor: *Der Mensch* ist dazu gut, dem Menschen gut zu sein. Und wo er es nicht ist, wird Gott missverstanden, wenn er strafend, belohnend, erquickend eingreifen soll. Wirkt ihr aneinander das Wunder der Zuwendung! – Das ist die jesuanische Botschaft. Gott bleibt dabei treu an unserer Seite. Er geht unseren leichten, wie auch schweren Weg mit. Es wird dennoch viel Not und Elend geben, sie werden nicht fortgezaubert. Aber alles wird gut ausgehen, nein: nicht ausgehen, verwandelt werden und bleiben. So ist unser Auferstehungsglaube.
Die von Jesus über die Propheten belehrten Menschen erzürnte sein Reden. Sie wollten ihn den Berg hinunterstürzen. Der Text des Evangeliums schließt mit einem bemerkenswerten Satz:
„Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“
Die Botschaft Jesu schreitet mitten durch unser Denken und Fühlen. Lassen wir sie nicht weggehen, gehen wir mit ihr! Das Wunder Gott ist sein Mitten-unter-uns-Sein. Wer da noch auf andere Wunder hofft, lebt viel mehr einen Aberglauben, denn einen Glauben.
20. März
Ex 3, 1–8a.10.13–15
Nachdem sich in der AT-Lesung Gott dem Moses im brennenden und nicht verbrennenden Dornbusch als „Ich bin“ zu erkennen gibt, als Gott unerschütterbar an unserer Seite, stellen mich die NT-Lesung und das Evangelium auf die Probe meines Glaubens an einen barmherzigen Gott, der „Ich bin“ bei euch ist.
Ich lese in der 2. Lesung und im Evangelium eine geballte Ladung über das Schlechtsein der Menschen und den Zorn, die Rache Gottes.
1 Kor 10, 1–6.10–12
Und da soll nicht nur Rache das Motiv Gottes sein, nein er lässt Menschen auch zur Abschreckung umkommen. Ihr unheilvoller Tod soll Mahnung für die Nachkommenden sein. – Pfff
“ […] Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen. Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, […]“
Das Evangelium erhärtet diese Sicht noch.
Lk 13, 1–9
„Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist?Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt.“
Jesus sagt das zu Menschen, die von der Grausamkeit des Pilatus erzählen, der Galiläer umbringen ließ und deren Blut mit dem ihrer Opfertiere mischte.
Jesus scheint also darauf hinzuweisen, dass ein Unheil für alle in der Luft liegt, weil alle schlecht sind. Die einen mehr, die anderen weniger. Das Maß des Unheils sagt über den Grad der Schlechtigkeit nichts aus.
So willst Du uns entlassen? Mit Deinem Zorn über unser Schlecht-Sein? Vernichtend ist Dein Urteil! – Das mag ich nicht glauben. Und lese noch einmal bis zum Schluss des Evangeliums mit dem Feigenbaum-Gleichnis. Der Herr des Weinbergs will einen schon drei Jahre keine Früchte tragenden Feigenbaum umschneiden. Der Winzer schlägt vor, dem Baum noch eine Chance zu geben:
„Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen.“
Ein bisschen versöhnter mit Gott, nein: mit dem tradierten Gottesbild, lege ich nun die Texte zur Seite: Der Baum braucht Pflege. Um Früchte bringen zu können, muss auch der Mensch die Erfahrung liebevoller Zuwendung gemacht haben. ..
Schlimm ist, was ich auf der Seite von YOUCAT im Internet dazu lese: Father Hans Buob schreibt:
„[…] So sollen solche Ereignisse uns immer auch zu uns selber führen. Wenn wir von Katastrophen hören, von Menschen, die umkommen oder furchtbar leiden, dann sollten wir immer in unser Inneres schauen und daran denken: Durch unsere Sünden haben wir alles Leiden der Welt mitverdient. Solche Ereignisse sind immer ein Anruf zur eigenen Umkehr.“ […]
Durch unsere Sünden haben wir alles Leid der Welt mitverdient! – Wer richtet die so niedergeschmetterten Gläubigen auf? Wer behütet sie vor einem Leben in Gram? Wer verkündet ihnen den Gott des Lebens? Den Gott, der ein Freund der Menschen ist, ihr gutes Leben will, auch wenn es uns nicht Not und Leid erspart. Wer befreit Gott von der ihm von Menschen aufgesetzten Maske des Wüterich? Wer geht zum brennenden Dornbusch und hört Gott dort sagen: Ich bin! Ich bin immer. Ich bin immer bei Euch?
19. März
Heute am Fest des „hl. Josef, Bräutigam der Gottesmutter Maria“ (so heißt der Tag) stocke ich schon bei der Tagesbezeichnung: Josef ist demnach dauerhaft Bräutigam Mariens, ihr zukünftiger Ehemann. So wie Maria Jungfrau bleibt, bleibt Josef – ob der theologischen Tradition – Bräutigam.
Heute finde ich ganz schwer Worte in den Lesungen, die in mir etwas zum Klingen bringen. Ich versuche es dennoch:
In der AT- Lesung wird Natan zu David geschickt, ihm zu sagen, dass dessen leiblicher Sohn sein Nachfolger und dessen Königtum Bestand haben wird. (2 Sam 7, 4–5a.12–14a.16)
Diesen Gedanken des dauerhaften Bestandes der Zusage Gottes formuliert auch Paulus in der NT-Lesung (Röm 4, 13.16–18.22). Abrahams großer Glaube wird darin hervorgehoben:
„Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, […]“
Hier kehre ich zurück an den Beginn der NT-Lesung zu einem Ausdruck, der sich mir beim Drüberlesen schon kantig quer gelegt hat:
„Abraham und seine Nachkommen erhielten nicht aufgrund des Gesetzes die Verheißung, Erben der Welt zu sein, sondern aufgrund der Glaubensgerechtigkeit.“
Was meint Paulus mit Glaubensgerechtigkeit? – Dazu kann man viele wortreiche theologische Erklärungen finden. Ich will dem Wort aber – ungestützt auf theologische Erklärungen – in mir nachgehen: „Glaubensgerechtigkeit“ macht nur Sinn, wenn es zumindest eine besondere Gerechtigkeit ist, wenn schon nicht eine andere. So stottere ich mich zu einer gespürten Deutung: Nicht einem gesatzten Recht folgt die Gerechtigkeit, sondern der Zuwendung Gottes und dem Vertrauen, der Hoffnung des Menschen. Nicht der Mensch hat Gott an der Hand geschnappt und ist mit ihm zum Notar gegangen, um zu besiegeln, was vereinbart wurde und worauf er sich dann berufen kann. Gott lebt ein Versprechen. So unerklärbar dieser sich den Menschen zuwendende Gott auch ist, so unfassbar und nicht erzwingbar ist das Vertrauen, das Menschen in die Zusage setzen, Gott bleibe an ihrer Seite. Zusage und Vertrauen verbinden sich. Gott gestaltet seine Zuwendung zu einem Akt gegenseitiger Gerechtigkeit.
Etwa so, irgendwie aber halt auch sehr theoretisch. Vielleicht grüble ich zu sehr über Worte. Vielleicht sollte ich hergehen und „Glaubensgerechtigkeit“ einfach mit „Gnade“ ersetzen.
18. März
Zu den heutigen Tageslesungen, die voll von Mord und Mordgedanken sind sowie von der Habgier und Kälte von Menschen erzählen.
Die Lesung (Gen 37, 3-4.12-13a.17b-28) ist der Anfang der Josefsgeschichte. – Seine Brüder sind ihm die Gunst ihres Vaters neidig, wollen ihn umbringen, wovor ihn zwar Ruben rettet, die Brüder dann Josef „nur“ verkaufen.
Im Evangelium (Mt 21, 33-43.45-46) geht es um einen Weinbergbesitzer, der den Weinberg verpachtet. Als er die Pacht einheben will, ermorden die Pächter die Inkassanten, letztlich auch den Sohn des Besitzers.
Mit diesem Gleichnis, das Matthäus überliefert, führt Jesus hin zur Kernaussage, die Pharisäern und Hohepriestern gilt:
„Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.“
Von mir werden also Früchte erwartet. Wenn ich die Verkündigung Jesu lese, wie sie die Evangelien berichten, spricht er nicht von der fernen Ewigkeit, sondern immer von der schon angebrochenen Zeit. – Das Reich ist nahe, ist angebrochen… Blinde sehen wieder, Lahme gehen (Mt 11,5). –
Wir, Pächter der Gesellschaft Jesu, sind dabei zu missachten, was Weinberg-Arbeit und -Genuss heißen würden: mitzuhelfen, dass das Leben aller erträglicher wird. Mitzuhelfen auch an der Erlösung von der Blindheit der Gier und von der Lähmung des Egoismus. Dabei auch die eigene Gier und Blindheit wahr-nehmen
Im Gleichnis sagt Jesus einen Satz, bei dem ich noch länger verweile:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; …“
Was er mit dem verworfenen Stein meint – sich, seine Sendung – ist klar. Aber was bedeutet er für mich, für uns? –
Wir sollten uns trauen – nein, nicht Eckstein zu sein, das wäre Überschätzung, aber – Stein des Anstoßes. Etwa mit dem Eintreten für Flüchtlinge, egal, woher sie kommen. Oder dem lauten Anrennen gegen die Hochrüstung, der wir das Geld aus dem Schlund reißen müssen, um es für Frieden und Gerechtigkeit weltweit zur Verfügung zu haben. Oder mit dem Wegziehen der Hände vor den Herzens-Augen so vieler, die sich damit blind für die Not und vor allem die Ursachen der Not machen.
17. März
(Jer 17, 5-10)
(Lk 16, 19-31)
Und wieder wird – dieses Mal auch im NT in der Erzählung vom reichen Prasser und dem armen Lazarus ? – ein Gott vorgestellt, der mit meinem Glaubensbild übers Kreuz kommt.
Es geht ums Bestrafen, um härteste Strafen für jene, die nicht nach den Vorschriften gelebt haben, und ums Belohnen der Braven.
Ich könnte es mir leicht machen, und die Versuchung war da, die Evangeliumsstelle zu nutzen, über die Ichsucht derer zu schimpfen, die in ihrem eigenen Glück schwimmen und kalt gegen die anderen sind. Die also kein Gespür für die Not neben sich entwickeln. Doch dann blieb ich, wie schon bei früherem Hören und Lesen der Lazarus-Geschichte, an dieser Textstelle hängen:
„Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.“
Der reiche Prasser ist ja nicht nur kalt. Als es ihm am Schlechtesten geht, denkt er an andere, will sie vor dem gleichen Leid bewahren.
Und dann las ich die Geschichte noch einmal. Und dieses Mal fiel mir auf, dass der das Flehen des Reichen Zurückweisende nicht Gott ist, sondern Abraham. Wie oft habe ich die Legende vom reichen Prasser und dem armen Lazarus als Himmelsbotschaft, als Beschreibung der Ewigkeit aufgenommen. Es ist aber nur eine Beschreibung der menschlichen Sucht nach Strafe und Lohn. Nicht Gott ist der Zurückweisende, sondern Abraham, ein Mensch, ein gottergebener.
Es gibt ein Buch von Christoph Wrembeck SJ, dessen Lektüre mich sehr ergriffen/beeinflusst hat. Es heißt „Judas, der Freund“. Im Untertitel steht: „Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich.“ – Jesus und seine Botschaft werden darin als eine Sehnsucht nach allen Menschen erläutert. Die jesuanische Botschaft ist eine der Barmherzigkeit, die auch Judas gilt.
Während ich das schreibe, kommt mir ein Jesuswort am Kreuz in den Sinn. Er sagt zu einem der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt werden: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43)
Es geht Jesus immer um die Barmherzigkeit, nicht um Rache, um Gnade, nicht um Lohn, um Heilung, nicht um Opfer. Für Warmherzigkeit ist es für ihn nie zu spät!
Wie kann ich in diesem Licht die Qual des reichen Prassers deuten? An welchem Ort leidet er? – Wann immer ein Mensch erkennt, wie falsch er seinen Mitmenschen gegenüber gehandelt hat, dieses Erkennen ist quälend, tut sehr weh, und der Ort ist immer Jetzt, ein zeitlicher Ort. Aber eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass sich im Überschwang der erfolgreichen Selbstsucht jemand sagen ließe, dass er am falschen, am ungerechten Weg ist. Er muss selber zur Einsicht kommen. Das ist ein qualvoller Weg, weil er mit Rück-Sichten auf die hinterlassenen menschlichen Scherbenhaufen verbunden ist. In dieser Qual steckt der reiche Prasser und stecken wir alle in unterschiedlichem Ausmaß.
16. März
Aus dem Evangelium (Mt 20,17-28):
„Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, (…)“
Jakobus und Johannes wollen sich die besten Plätze am Tisch des Festmahls sichern. Sie drängeln sich vor und wollen Jesus dazu ein Versprechen abringen. –
Es war immer schon so, dass die „Kriegst-ja-eh-alles-was- du-willst‘-Seilschaften die besten Stücke aus der Beute reißen wollen. Die Beute ist aber keine Beute, sondern Gemeingut, Gemeinschaft.
Auch unter den Aposteln, so lesen wir heute bei Matthäus, war der Egoismus vorhanden. Jesus hält dem aber strikt dagegen: Wer bei euch groß sein will, soll sich nicht vordrängeln und nicht über andere erheben. „Dienen“ stünde auf der Flagge Jesu, nicht „Unterwerfen“ oder „Verdammen“.
15. März
Aus dem Evangelium von heute (Mt 23,1-12):
„Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen.“ (…) und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi – Meister – nennen. Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.“ (…) „Der Größte von euch soll euer Diener sein.“
Dazu aus der Lesung (Jes 1,10.16-20) zwei Sätze:
„Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!“
Ich lasse die Texte auf mich wirken. Den Kommentar gibt die Macht-Kirche ab.
14. März
Aus der Lesung (Dan 9,4b-10)
„Du, Herr, bist im Recht; uns aber steht bis heute die Schamröte im Gesicht, den Leuten von Juda, den Einwohnern Jerusalems und allen Israeliten, seien sie nah oder fern in all den Ländern, wohin du sie verstoßen hast; denn sie haben dir die Treue gebrochen.“
Ich wage Gedanken zum AT-Text. (Das heutige Evangelium – Lk 6,36-38 – würde mir eine Reflexion leichter machen, in dem es um den barmherzigen Gott geht und die Leitlinien Jesu, nicht zu richten, nicht zu verurteilen, …)
Am Beginn der Lesung wird der Herr als furchterregender Gott angerufen, der gnädig denen gegenüber ist, die ihm die Treue halten.
„Du Herr bist im Recht“ – worauf sich bei den Stämmen Israels das bezog, ist klar: sie haben Gott Gott sein lassen, gesündigt, die Strafe ist da nur gerecht. Mit Blick auf die jesuanische Verkündigung kommt für mich dieser Text in ein anderes Licht. Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Die Versündigung gegen Gott hat seinen Ausdruck in der Versündigung gegen die Mitmenschen. Du bist im Recht, Gott, wenn Du uns anflehst, niemanden zu verstoßen, sondern Gemeinschaft mit allen zu leben. Das soll uns Schamröte ins Gesicht treiben, dass wir uns fromm denken, weil wir uns zu frommen Handlungen versammeln, aber oft mit anderen in Feindschaft leben oder uns von ihrem schweren Schicksal nicht anrühren lassen.
13. März
Es sind wieder Texte, die mich ziemlich ratlos zurücklassen. In der AT-Lesung geht es um Opfer (Tiere), die Gott Abraham abverlangt, nachdem er – Gott – Abraham sagte, er solle die Sterne zählen, seine Nachkommenschaft würde genau so zahlreich werden. Dazu fällt mir nicht viel ein, außer dass der Glaube des AT auch eingebettet ist in eine allgemeine Gottesvorstellung dieser Zeit. In dieser ist die Angst vor dem Zorn Gottes, den man mit Opfern, Opfern, Opfern besänftigen muss, ein wesentlicher Glaubensantrieb.
Mein Glaubensantrieb ist aber ein Gott, der Barmherzigkeit will, nicht Opfer (Mt 12,7). Auf diesen Gott hat Jesus verwiesen und vorgelebt, worum es geht: um ein Miteinander, Zueinander und Füreinander.
Von der Lesung aus dem NT zum Evangelium sehe ich dazu eine Gedankenbrücke.
Aus der der 2. Lesung (Phil 3,17-4,1)
„Denn unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, …“
Aus dem Evangelium (Lk 9,28b-36, Verklärung Jesu)
„ … Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elíja.“
Unsere Heimat ist im Himmel, ihm gilt alle Aufmerksamkeit, ist ein traditionelles Glaubensverständnis. Vielleicht wähnten sich Petrus, Johannes und Jakobus auf dem Berg der Verklärung genau dort angekommen. Da war kein Denken mehr ans Zurückkehren ins Irdische. Doch Jesus holte sie wieder auf den Boden und es galt, herunter zu kommen, hinunter zum oft auch unverklärten Leben zurückzukehren.
Ich lese daraus: Dient zuallererst dem Leben, der Himmel wurzelt da.
12. März
Aus dem Evangelium (Mt 5,43-48)
„Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“
Diese Nur-Gedanken setze ich fort:
Wenn Ihr nur die Flüchtlinge aufnehmt, die ihr zu eurem Kulturkreis zählt, … Wenn ihr von allen, die sich nach Besuch sehnen, nur jene besucht, von denen ihr selbst beschenkt weggeht, … Wenn ihr nur Freunden verzeiht, …
Ein knapper Satz aus der Lesung (Dtn 26,16-19) lässt mich dazu weiterdenken:
„(…) du sollst … auf seine [Gottes] Stimme hören.“
Die Stimme würden wir schon hören, wir müssten nur den Lautsprecher in uns lauter drehen. Immer wieder mahnt die Stimme zu einem demütigen und versöhnenden Umgang – *mit allen*. Am Gründonnerstag etwa werden wir wieder durch Jesu Fußwaschung angestoßen, den Kern seiner Botschaft zu hören (Joh 13, 12)
„Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“
So schwer wäre es nicht zu begreifen. Aber wir haben den inneren Empfänger auf stumm geschaltet. Es liegt nicht am mangelnden Begreifen, sondern am Nicht-hören-Wollen. Wir sind eifrige Trainierende des Überhörens.
11. März
Aus dem Evangelium (Mt 5,20-26)
„Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.“
Auch die heutigen Texte würden mich sehr ratlos zurücklassen, weil in ihnen (besonders in der Lesung Ez 18,21-28) neben der Zusage „Leben den Gerechten“ den Sündern der Tod verkündet wird. Es formuliert sich also wieder das Bild vom Rache- und Richtergott aus, und der barmherzige und versöhnende Gott wird davon zugedeckt. Aber die Mitte des heutigen Evangeliums weitet den Blick hin auf die Versöhnung. Ich spür darin eine prophetische Rede auf die Kirche heute: Nicht um das Opfer geht es, es geht um die Versöhnung. Ich höre Jesus schreien: was feiert ihr Messen/„Messopfer“, haltet Mahl und sagt, ihr nehmt mich dabei in die Mitte, wünscht den Frieden, schleppt aber Groll, Unversöhnlichkeit und Tonnen von schlechten Gedanken gegen andere mit Euch! Wie könnt ihr meinen, mir damit ein „Opfer“ zu bringen?
10. März
Ich schicke voraus, dass ich Lesung und Evangelium hin- und hergewälzt habe, aber viel mehr als ein intensives Hadern mit dem darin gezeichneten Gottesbild ist daraus nicht geworden, ausgenommen die letzten zwei Sätze des heutigen Evangeliums (Mt 7,7-12):
„Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten. Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“
Aber warum nennt Jesus seine Jünger, uns, böse, um dann zu dieser Goldenen Regel zu kommen. Ich frage mich, wie es wohl im Urtext geheißen hat, was die Übersetzer mit dem Wort „böse“ ins Deutsche brachten. Könnte man für „böse“ „selbstsüchtig“ einsetzen? Oder „egoistisch“, „nur auf sich schauend“? Ich tu mich mit dieser Stelle jedenfalls leichter, wenn ich sie mit diesen Begriffen ersetze. Dann gipfelt die Rede auch für mich in der alles überstrahlenden Goldenen Regel „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Ich ergänze in Gedanken: „Ihr braucht Eure Ellbogen nicht zum Vorwärtskommen, das geht viel besser mit Vertrauen.“
Gar nicht ins Reine komme ich mit der Lesung. Hier wird ein Gott vorgestellt, den sich die Menschen als Rachegott gezimmert haben. Gott, der Zauberer, den ich mit meinen Bitten, andere zu vernichten, zu diesen Taten für mich verführen will. (Das AT ist halt auch ein Dokument über das Denken der Menschen von Gott):
Aus der Lesung (Est 4,17 k …, Es sind Stellen aus Esters Gebet)
„Leg mir in Gegenwart des Löwen die passenden Worte in den Mund, und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind hasst und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet. Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr!“
Ich habe insgesamt ein anderes Verständnis von Gott, es ist eher ein Nicht-Verstehen. Menschen schreien zu Gott: hilf, tu dies, tu das, zaubere für mich. Und sie vergessen darüber, dass uns längst Gott zuruft, uns anfleht, vom tiefen Brunnen in uns (Etty) darum bettelt, ihm zu helfen. Er wirbt um mein Vertrauen, dass er auch in allem, was ich nicht verstehe und was so ganz anders läuft, als ich gehofft habe und mir wünsche, mit mir ist. Das für mich richtige Bittgebet müsste lauten: Gott, ich möchte Dir vertrauen und komm dabei so oft ins Wanken. Ruf mir vor allem in diesem Wanken immer zu, dass Du bei und in mir bist, trotz des Schwindels, dem ich Dich mit meinem Wanken aussetze.
9. März
Aus der heutigen Tageslesung (Jona 3,1-10, Gott schickt Jona in die Stadt Ninive, damit er den Menschen dort deren Untergang ankündige):
„Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er führte die Drohung nicht aus.“
Es wird uns der zornige Gott vorgestellt, der zur Vernichtung willens ist, den dann aber angesichts der Umkehr der Menschen reut, was er geplant hat.
Wie lange dachten sich Menschen Gott als Wüterich, den sie besänftigen müssen! Wie lange dachten sich Menschen Gott nach ihrem Ebenbild! – als rachsüchtig und mörderisch. Doch Gott rief sie zum Ablass, zum Ablassen von ihrem Denken und Handeln. Sie folgten aus Angst vor dem hassenden Gott.
Wir brauchen nicht aus Angst gut sein, sondern aus dem Beispiel Jesu, der auf den liebenden Gott hingelebt und hingewiesen hat, in diesem Gottesbewusstsein auch den Tod aushielt. Und Jesus ist größer als Jona (heutiges Evangelium Lk11,29-32).
8. März
Aus dem heutigen Evangelium (Mt 6,7-15, Jesus lehrt die Jünger das „Vater unser“)
„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“
So viele Worte werden aus tausend Gründen an Gott gerichtet, zu ihm gebetet und gebittet. Wir reden uns Brücken zu Gott herbei, damit er sich auf den Weg machen kann, bei uns wieder alles zu richten. Dieses Brücken-Beten denkt sich Gott fern von uns. Würden wir mehr das Gebet des Hineinschweigens üben, könnte es uns wie Etty Hillesum gehen, die betet: „In mir ist ein tiefer Brunnen, und in dem bist Du, Gott …“ – Es ist ein Gott, dem ich helfen muss, es bei mir wohnlich zu haben, nicht ein Gott, der mir helfen muss, dass ich ein wohnlich-wolliges Leben habe. Gott braucht nicht herbeigebetet werden, er hat sich längst mir verinnerlicht.
7. März
Aus dem heutigen Evangelium (Mt 25, 31-46 – Rede vom Weltgericht):
„Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“–
Gott begegnet uns in den Anderen. Es ist nicht möglich, sich an den Menschen vorbei auf Gottsuche zu machen. Der dauerhafte Rückzug in mich ist der falsche Weg, Gott zu finden. Er ist nämlich schon gefunden: er schaut uns an aus den Augen der Mitmenschen, gerade auch aus jenen Hungernder, Fremder und anderer Menschen, die leiden. Wenn ich auf sie zugehe, gehe ich auf Gott zu.
Sonntag, 6. März
Zu zwei der heutigen Tageslesungen (Aus Dtn 26,4-10)
„Wenn du den Korb vor den Herrn, deinen Gott, gestellt hast, sollst du dich vor dem Herrn, deinem Gott, niederwerfen.“
(Aus Lk 4, 1-13) Der Teufel zu Jesus:
„Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören.“Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“
Welchen Versuchungen gebe ich nach? Vor wem und vor was werfe ich mich nieder? Wie viel würden Menschen dafür geben, anerkannt zu sein, bewundert zu werden, einflussreich zu sein, die Welt nach ihrem Geschmack zu gestalten, sie zu beherrschen? Oder was würden wir darum geben, verlorene Liebe zurückzubekommen oder einen Menschen wieder aus dem Grab der Trennung herausholen zu können …! Erstes können wir nur auf Kosten anderer, Zweites gar nicht. Wir können nur in Dankbarkeit und Demut annehmen, was uns geschenkt oder beschieden ist. – Was wir tun können, sollen wir auch tun!
5. März
Aus dem Evangelium (Lk 5,27-32) die Schluss-Sätze;
„Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten.“ –
Ob die Gerechten wirklich gerecht sind und nicht selbstgerecht? Ob die Gesunden wirklich gesund sind und nicht eingebildete Gesunde? Ob nicht alle den Arzt brauchen? Ob wir nicht alle einander Pflegedienste leisten sollen?
4. März
Aus der Tageslesung (Jes 58,1-9a)
[…] „das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.“
Fasten hat seine Wurzeln im Begriff Fest-Sein. Fest-Sein also in den Werken, nicht in den Worten. Fest-Sein in der überschwänglichen Zuwendung, nicht in der asketischen Abwendung vom Alltag und den Menschen.
3. März
Aus dem Evangelium (Lk 9,22-25). Daraus der Schluss-Satz:
„Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“
(Ein prophetisches Schlusswort im Evangelium von heute auch an die Adresse von Putin!)
Vor dieser Stelle spricht Jesus von der Nachfolge als ein Sein-Kreiz-auf-sich-Nehmen. Das klingt sehr düster, doch der Schluss-Satz hebt das Ganze in ein befreiendes Ganzes: Das gute Leben ist nicht zu haben wie es die reifen Früchte im Schlaraffenland sind, die einem so mir nichts, dir nichts in den Schoß fallen. Für den Himmel unter uns muss ich mich einsetzen – ich komm auch hier nicht daran vorbei: gemeinschaftlich einsetzen Wenn ich nur für mich Ziele herbeirackern und mir Wünsche erfüllen will, die anderen dabei aber übersehe oder vergesse, und wenn ich dabei gar die ganze Welt gewänne, würde ich mich dennoch selbst verlieren. Denn nur im Wir komme ich zu mir und in mich.
Aschermittwoch, 2. März
Aus der ersten Lesung, Joel 2,12-18:
„Wo ist denn ihr Gott?“–
Das fragen angesichts der sich überhäufenden Unmenschlichkeit immer mehr Menschen. Wozu ist Gott gut, wenn er all das Unmenschliche zulässt, klagte neulich auch Elisabeth Wallner.
Wir vergessen, dass der Schrecken, den Menschen über Menschen bringen, un-menschlich ist, nicht un-göttlich. Wo bleibt der Mensch, müssten wir daher viel eher fragen. Doch das Leid wäre nicht aus der Welt, wäre sie voll mit Menschlichkeit. Die Naturkatastrophen blieben dennoch, Krankheiten auch …
Wo also ist Gott? Wozu braucht es ihn? – Wer darauf eine Antwort gibt, bleibt im Käfig seiner Gedankenwelt und akzeptiert nicht, dass es Gott gegenüber vor allem ein Nicht-Verstehen gibt. Gott zu erklären, muss scheitern, viel mehr noch als der Versuch scheitern würde, einem Blinden die Farben zu erklären oder einem Tauben das Osterhalleluja. Wir wissen nicht, ich glaube aber und hoffe: Gott ist da.
Faschingsdienstag, 1. März
Aus der Lesung (1 Petr 1,10-17):
„Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden.“ –
Das Wort „Heil“ hat eine seiner Wurzeln in einem althochdeutschen Wort „heil“, das „Vorzeichen“ bedeutet hat. In alten nordischen Sprachen bedeutete das gleiche Wort „Glück“, „Segen“. Die beiden Wörter sind miteinander verschmolzen. – Dann sind also Heilige Vorzeichen des Glücks. – Da wär heilig zu sein gar nicht so schwer. Oder doch?
Faschingsmontag, 28. Februar
Heute ist also der „Pflichttag der Lustigkeit“.
Gedanken zum Tagesevangelium an dem Tag, dem aktuell wohl sein vorrangiger Zweck – Montag zu sein – genügt. An seiner näheren Bestimmung „Fasching“ wird ihm nicht viel gelegen sein.
Der Leseordnung der Kirche ist der Fasching seit jeher kein Eingehen wert. Oder doch? Will sie mahnen oder hat sie nur ein anderes Verständnis von „lustig“, meint sie viel mehr die Freude?
Das Evangelium des Tages (Mk 10,17-27) klingt nicht nach Freude. Es geht darin um den Reichen, der von Jesus wissen will, was er, außer die Gebote zu halten, noch tun müsste, um ewiges Leben zu erlangen. Als er von Jesus hört, er sollte teilen, geht er zerknirscht weg. Jesus sagt darauf zu den JüngerInnen:
„Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!“
Die ihm folgten, sind darüber bestürzt. Jesus aber bekräftigt seine Aussage mit einem der bekanntesten Sätze aus den Evangelien:
„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
Damit sorgt er für noch mehr Unruhe unter den JüngerInnen, denn für sie ist nun klar: sie werden das Ziel, den Himmel, nicht erreichen.
Daraufhin erzählt ihnen Jesus vom Gnadengott, für den alles möglich ist.
Für mich ist der Text eine Lektion für das gute Leben hier und jetzt.
Er passt nicht zur äußeren Lustigkeit, sondern weist zur inneren Freude. Besitzen kann man viel, nicht nur Materielles. Reich kann man auch an Einsicht, Wissen, Anerkennung, Können, Grund zur Zufriedenheit und vielem mehr sein. Ohne es zu teilen, bleibt man aber arm, stoßt nicht in den Himmel des guten Lebens vor. Glück kann letztlich nur geteilt erfahren und gemeinsam erlebt werden. Freude setzt Gemeinschaft voraus. Dagegen braucht Lustigkeit nur den Spaß für sich selbst.
Dass das Evangelium die Belehrung ins Endzeitliche einbettet, ist wohl der Stimmung der damaligen Zeit geschuldet. Aber Jesus, wie ich ihn verstehe, meint das Leben im Hier und Jetzt, das „Reich Gottes“ mitten unter uns. Der Himmel ist das Ziel, und das Ziel ist ohne Start nicht denkbar.
Die oberflächliche Lustigkeit heute ist ohnedies nicht möglich. Zu viel ist erschwert und bedroht. Die Freude aber ist ein Gefühl, zu dem wir auch in betrübten, bedrückenden Zeiten fähig sind. Es ist die Freude erfahrener Gemeinschaft, zu der alle beitragen, an der alle mittragen können. Sie müssten ihren Ich-Panzer ablegen, sich von den eigenen Zwängen frei machen. Es sind Zwänge, die aus der Sicht kommen: mir muss es gut gehen. Mit Blick auf die Freude kommen wir zur Sicht: allen soll es gut gehen.
Ernst Gansinger, 28. Februar bis 18. April 2022
Warum sich aufgeklärte Menschen von Gott berühren lassen
Antwort auf einen Post auf Facebook, der zunächst den Religionen vorwirft, in der Geschichte der Menschheit die zerstörerischten Kräfte zu sein. Und schließlich wundert sich der Poster, warum heute in einer aufgeklärten Welt selbst aufgeschlossene Menschen immer noch Religion so wichtig nehmen.
21. Februar 2021
Zunächst zum Vorwurf der den Religionen zugrunde liegenden Gewalt. Schrenks Kritik ist in jedem aufgezeigten Fall berechtigt. Die Verallgemeinerung aber ist meines Erachtens ein Fehlschluss. Nur die Beispiele aufzuzählen, in denen Religionsführer Gewalt verherrlichten, sie lebten und aus der Gewalt versuchten, für sich oder ihr Anliegen Nutzen zu ziehen, verzerrt die Geschichte und das Religiöse. Es gab und gibt viele gegenteilige Beispiele. Das gewichtigste der christlichen Tradition ist Jesus. Einer sei hier noch angeführt: Franz von Assisi, der im fünften Kreuzzug Sultan al-Malik al-Kamil in Ägypten traf. Dazu aus einem Interview mit dem franziskanischen Bruder Jürgen Neitzert, 2019: „Als junger Mann hatte Franziskus selbst im Militär gedient und die Leiden des Krieges am eigenen Leib gespürt. Deshalb wandte er sich ab von jeglichem kriegerischen Bemühen. Franz kam in das Lager der Kreuzfahrer in Damiette an der ägyptischen Nordküste, sah deren Lebensweise, die er für schlecht befand und prophezeite ihnen ihre Niederlage. Nahe Damiette war ein Feldlager, in dem sich der Sultan von Ägypten, al-Malik al-Kamil, aufhielt. Franz wollte zu ihm, wohl um ihn zu bekehren – damals gab es noch keinen interreligiösen Dialog. Doch er stellte fest, dass die Menschen dort gläubig waren, zu Gott beteten, dass der Sultan ein frommer Mensch war. Der Sultan wiederum war den Christen gegenüber sehr gewogen, hatte in seinem Reich mit den Kopten viele Christen. Insofern war es für den Sultan nicht ungewöhnlich, dass er mit einem christlichen Mönch wie Franziskus zu tun hatte. Er hatte den Kreuzfahrern viele Friedensangebote gemacht und erwartete vielleicht, dass Franziskus kam, um Frieden zu bringen. Und obwohl die Erwartungen beider nicht erfüllt wurden, wurde Franziskus während der drei Wochen Aufenthalt in dem Lager gut aufgenommen. Wir gehen davon aus, dass er davon Impulse mitgetragen hat.“)
Doch nun zu meinem Hauptanliegen, aufgestachelt durch die Bemerkung des Postenden, wonach es ihn verwundert, dass heute in der aufgeklärten Welt noch immer, selbst gebildete Menschen ihr Leben religiös ausrichten. Ich versuche es ja auch, aber ich will hier eine viel bedeutendere Frau, die christliche Mystikerin Simone Weill als Zeugin aufrufen (und am Schluss noch Heinriich Böll):
Simone Weill (1909 – 1943), eine französische Philosophin und Sozialrevolutionärin, zunächst eine agnostisch orientierte Gewerkschafterin, wandelte sich im letzten Lebensdrittel zur christlichen Mystikerin.
In Wikipedia ist nachzulesen: Weills Denken war von christlicher Mystik sowie von platonischen und buddhistischen Einsichten geprägt, darüber hinaus auch von der jüdischen Tradition, wozu sie sich aber nicht bekannte. Auf sie geht der Gedanke der „décréation“ zurück, der „totalen Selbstentäußerung des Menschen vor Gott“.
Ein Auszug aus ihrem Lebenslauf: Im Dezember 1933 vermittelte Simone Weill Leo Trotzki trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten eine Unterkunft im elterlichen Haus in Paris und nutzte die Gelegenheit zu einer persönlichen Diskussion. Auf ihre Vorwürfe wegen der Brutalität gegenüber den Matrosen von Kronstadt, die in der Exekution vieler Beteiligter gipfelte, antwortete Trotzki: „Wenn Sie so denken, warum nehmen Sie uns dann auf? Sind Sie denn von der Heilsarmee?“ Der Kronstadt-Aufstand im Winter 1921 war gegen die Regierung Sowjetrusslands, die Politik des Roten Terrors und den Kriegskommunismus gerichtet.
Im Sommer 1935 reiste Weill mit ihren Eltern nach Spanien und Portugal und war von der Religiosität der armen Fischer in Póvoa de Varzim berührt. Der portugiesische Fado (Musikstil) hinterließ in ihr einen unauslöschlichen Eindruck: Sie kam zur Ansicht, dass das Christentum die Religion der Sklaven sei. …
Im Spanischen Bürgerkrieg unterstützte Weill im Sommer 1936 in einem kurzen Einsatz die Republikaner.
Ab 1936 traten für Simone Weil religiöse Fragen in den Vordergrund. Im Frühjahr 1937 reiste sie zum ersten Mal nach Italien und wohnte der Pfingstmesse im Petersdom bei. Sie war von der Schönheit der Kunst und Landschaft Italiens beeindruckt. Sie schrieb aus Umbrien an ihre Eltern: „Nie hätte ich solch eine Landschaft, eine so prächtige Menschenart und so eindrucksvolle Kirchen erträumt. […] Als ich dort in der kleinen romanischen Kapelle aus dem zwölften Jahrhundert, Santa Maria degli Angeli, diesem unvergleichlichen Wunder an Reinheit, wo der heilige Franz so oft gebetet hat, allein war, da zwang mich etwas, das stärker war als ich selbst, zum erstenmal in meinem Leben auf die Knie.“ (Ganz ähnlich beschreibt es die 1943 von den Nazis ermordete holländische Jüdin Etty Hillesum in ihren Tagebüchern.)
Heinrich Böll würdigte Simone Weill mit folgenden Sätzen: Die Autorin liegt mir auf der Seele wie eine Prophetin; es ist der Literat in mir, der Scheu vor ihr hat; es ist der potentielle Christ in mir, der sie bewundert, der in mir verborgene Sozialist, der in ihr eine zweite Rosa Luxemburg ahnt; der ihr durch seinen Ausdruck mehr Ausdruck verleihen möchte. Ich möchte über sie schreiben, ihrer Stimme Stimme geben, aber ich weiß: ich schaffe es nicht, ich bin ihr nicht gewachsen, intellektuell nicht, moralisch nicht, religiös nicht. Was sie geschrieben hat, ist weit mehr als ‚Literatur‘, wie sie gelebt hat, weit mehr als ‚Existenz‘. Ich habe Angst vor ihrer Strenge, ihrer sphärischen Intelligenz und Sensibilität, Angst vor den Konsequenzen, die sie mir auferlegen würde, wenn ich ihr wirklich nahe käme. In diesem Sinne ist sie nicht ‚Literatur als Gepäck‘, aber eine Last auf meiner Seele. Ihr Name: Simone Weil.“
Ich schließe mit einem religiösen Geständnis von Simone Weill: „In meinen Überlegungen über die Unlösbarkeit des Gottesproblems hatte ich diese Möglichkeit nicht vorausgesehen: die einer wirklichen Berührung von Person zu Person hienieden, zwischen dem menschlichen Wesen und Gott. Ich hatte wohl unbestimmt von dergleichen reden gehört, aber ich hatte es niemals geglaubt.“
Es heißt „TUT!“, nicht „SCHAUT ZU!“
Nachdenken und Anstöße über Kirche als Gemeinschaft
Jesus Leben und seine Konsequenz im Tun sind eine große Ermutigung und Aufforderung, seinem Beispiel zu folgen. Manchmal sagt er es auch deutlich: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe (Joh 13,15, Fußwaschung). An anderer Stelle (Lk 22,26): „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Jüngste und der Führende soll werden wie der Dienende.“ Im Zentrum jeder Messe ist die Wandlung mit den Einsetzungsworten: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Jesus sagt also nicht: Schaut zu beim Gedächtnis oder einer von euch soll stellvertretend gedenken. Jesus spricht immer von Handlungen und Haltungen und zeigt sie vor. Zentrale Aussage seiner Botschaft ist die Botschaft der Gemeinschaft, das Füreinander- da-Sein. Ein Christ weiß um das „Sakrament der Gemeinschaft“!
Das „Sakrament der Gemeinschaft“ ist vernachlässigt
Die kirchlichen Gemeinden sind jedoch lange vor den Corona-Einschränkungen (und den neuerdings angebotenen Livestream-Gottesdiensten) zuschauende Gemeinden geworden, die für sich stellvertretend etwas machen lassen. Alles ist zugespitzt auf das Hinschauen auf die kaum noch verstandene liturgische Symbolik. Das „Sakrament der Gemeinschaft“ ist vernachlässigt, wenn nicht verschlampt worden. Jetzt in der Corona-Zeit, wäre es höchste Eisenbahn, sich vorzubereiten auf die Zeit nach Corona, wenn das lange vor Corona schon immer mehr abhanden gekommene Gefühl für Gemeinschaft vielerorts noch viel ausgeprägter geschrumpft sein wird. Corona lässt die kirchlichen Gemeinden vom Baum der Erkenntnis essen, dass sich die Gemeinschaft – Mahlgemeinschaft, Stützgemeinschaft, Feiergemeinschaft – immer mehr verflüchtigt. Korrekter formuliert: sie verflüchtigt sich nicht mehr und mehr, sondern es wird offensichtlicher, dass der Kitt von Brauchtum und Tradition endgültig seine Gemeinschafts-Klebekraft verloren hat.
Jetzt vorbereiten, was Gemeinschaft heißt
Jesus-Nachfolge – Kirche, Glauben – aber ist Gemeinschaft! Daher ist es höchste Eisenbahn, in die Gemeinschaft, in alle Ausprägungen von Gemeinschaft zu investieren und diese Investitionen jetzt vorzubereiten. Dann kann mit diesen Investitionen sofort begonnen werden, sobald Treffen wieder möglich sind, und Kirche das Gemeinschafts-Zeugnis gestalten kann.
Gemeinschaft ist eine Einstellung, keine Aufgabe
Gemeinschaft ist keine Führungsaufgabe, Gemeinschaft ist eine Aufgabe aller, die zu einer Gruppe gehören. Es geht also nicht um organisieren, administrieren, strukturieren, sondern darum, dass jede und jeder etwas tut, etwas beiträgt. Zunächst muss dafür das Gefühl geweckt und gepflegt werden, etwas beitragen zu können und zu sollen. Gemeinschaft ist zudem nicht in erster Linie eine Aufgabe, sondern eine Einstellung. Wir können Geschmack auf Gemeinschaft machen – das kann eine Aufgabe von Pfarrleitung und engagierten Menschen in der Pfarre sein. Sie müssen aber selber selber Gemeinschafts-Sehnsucht „versprühen“.
Versprühen von Gemeinschafts-Sehnsucht
Die Tischgemeinschaft muss wirklich Tischgemeinschaft sein, muss ein Tun sein. Dazu muss die Pfarre ein einladendes Ermutigen entwicklen. Wenn wir zusammenkommen, um uns an Jesus und sein Tun zu erinnern, dann darf das nicht wie in einem Konzert oder Theater geschehen, sondern wie bei einem Hochzeitsmahl. Alle Gäste können dort etwas von sich einbringen, sich an den Vorbereitungen beteiligen, etwas zum Essen mitbringen, mitreden, mitsingen, mittanzen, selber Erinnerungen vortragen, … Es gibt keine hervorgehobene Rolle ausgenommen jene der Braut und des Bräutigams. Wir müssen uns als Gleich Begnadete verstehen und einander auch so behandeln. Das hieße, dass wir selber viel mehr Gastfreundschaft im kleinen Kreis pflegen. Wir können natürlich nicht putschen und die kirchliche Tradition des Priesteramtes umstoßen, indem wir Messe und Wandlung radikal entmystifizieren, entklerikalisieren. Aber Nachbarn können Nachbarn einladen, mit ihnen über biblische Themen sprechen, sich über diese austauschen – was sie heute bedeuten! -, miteinander essen und trinken, Freundschaft leben, sich miteinander freuen oder trösten, wenn es sich anbietet auch spielen, singen, tanzen, … Die kleinen Tischgemeinschaften (oder wenn noch weniger möglich ist: die Hausgemeinschaften) halten dann auch in virtueller Gemeinschaft mit Livestream-Gottesdiensten wirklich Mahlgemeinschaft, nicht nur symbolisch, geistig-geistlich Mahl.
Die Stützgemeinschaft lässt die nicht allein, die nicht mehr mitkönnen bei der Freude, nicht mehr am Tisch sitzen wollen oder können, jene, die mit Sorgen so voll bepackt sind, dass sie für sich schon nicht und erst recht nicht für die Gemeinschaft Kraft haben. Und auch jene, die über die Gemeinschaft spotten oder sie beschimpfen. Sie alle sind uns als Gemeinschaft anvertraut, zugemutet. Wir gehen ihnen nach, suchen sie auf. Der Nachbar/die Nachbarin klopft beim Nachbarn/bei der Nachbarin an, Wer jemandem vom Einkauf kennt, geht dieser Bekanntschaft nach, wenn dieser Mensch plötzlich fehlt. Wer davon erfährt, sucht von sich aus Kranke oder Verzweifelte in seiner/ihrer Umgebung auf. Es ist ein Nachgehen, das nicht Dienst ist (pfarrlicher Besuchsdienst), sondern gemeinschaftliches Selbstverständnis. Jeder Mensch aus unserer Gemeinschaft hat wenigstens einen Menschen, dessen Wohl er/sie sich ein Anliegen sein lässt. Fehlt dieser Mensch plötzlich länger, löst das eine Unruhe aus, die Anstoß ist, ihm nachzugehen. SOS Menschenrechte hat das Buddy-System AMIGO (http://www.sos.at/index.php?id=266) entwickelt – Österreicher/innen sind Zugewanderten helfende Begleiter/innen. – Davon könnten Pfarrgemeinden etwas lernen!
Die Sorge um die Armen, Kranken, Verzweifelten, Mutlosen, Gescheiterten, … ist keine Aufgabe eines Arbeitskreises. Sie ist Caritas-Angelegenheit. Und Caritas ist Angelegenheit jedes Christen, jeder Christin. Das heißt schon auch spenden, aber vorrangig heißt es: da sein, an der Seite derer sein, die beim Tempo der Gemeinschaft und Gesellschaft nicht mehr mitkönnen. Es heißt, sich anrühren lassen von deren Not.
Die Feiergemeinschaft (Gemeindegottesdienste, Feste, besondere Veranstaltungen, Mitmachen bei Ortsfesten, …) ist Ausdruck der großen Gemeinschaft der Pfarre. Wenn sie sich trifft, stärkt sie das Gemeinsame und die vielen kleinen Gemeinschaften. Sich im Großen eingebunden zu wissen, gibt Kraft. Das Feiern der Gemeinde darf niemanden ausschließen. Wer kommt, wird eingebunden ins Feiern. Deren/dessen Rolle erschöpft sich nicht im Zuschauen, sondern hat das Mittun zum Ziel. Das heißt aber für jene aus der Gemeinde, die sich gut kennen, sich nicht abzuinseln, sondern diese Menschen (die „Neuen“, die „Seltenen“, die „Unbequemen“, …) aktiv hereinzunehmen. Die Feiergemeinschaft braucht also Animateure und Animateurinnen des Teilnehmens.
27. Jänner 2021
Die Spaltung der Gesellschaft
Ich sinniere viel über die Spaltung der Gesellschaft und den rauen Ton, der über den Graben, den Spalt geworfen wird. Facebook ist einer der Übungsplätze dafür, beim Sturm aufs Kapitol haben etliche umgesetzt, was sie geübt haben. Die Chancenlosigkeit, da ein Einbremsen, gar ein Nachdenken zu erreichen, macht mich sprachlos, hilflos. Wenn aktuell immer noch 3/4 der Trump-WählerInnen meinen, Trump sei der Wahlsieg gestohlen worden, zeigt das, dass die Erzählungen der Aufwiegelnden und zum Heil Verlockenden viel mehr bewirken, als argumentatives Dagegenhalten. Mir schaudert, wenn ich daran denke, dass Joe Biden jetzt die aufgehetzte gespaltene amerikanische Nation versöhnen, befrieden soll. Wie könnte das gehen? Mit fundierten Argumenten geht’s nicht. Es braucht wahrscheinlich Gegen-Narrative, erzählt von charismatischen und sehr bekannten Menschen. Der Papst könnte einer von ihnen sein. Und bei uns: jede/r einzelne kann durch sein Verhalten und Leben eine befreiende Geschichte erzählen. Sie nicht argumentieren, sie erzählen! Vielleicht müssten wir wieder lernen, Märchen zu erfinden und zu erzählen. Noch besser wäre, sie zu leben – jesuanische, franziskanische, ettysche, weilische … Aber auch das schützt nicht davor, dass die Menschen den Schreiern zulaufen, und die anderen verstoßen. Und doch: es scheint mir langfristig die einzige spaltenüberwindende Möglichkeit zu sein.
Ergänzend dazu, weil ich glaube, dass Feuer am Dach ist, unter dem wir noch halbwegs friedlich zusammenleben: Wenn ich über die gegenwärtige aufgestachelte Stimmung nachdenke, verstehe ich immer mehr, wie es Hitler und andere gewalttätige Schreier schaffen konnten, so viele Menschen jubelnd hinter sich zu sammeln und durch sie an die Macht zu kommen bzw. dort weiter bejubelt zu werden. Es braucht: Feindbild-Pflege, die eine schon vorhandene Stimmung bedient und befeuert, beharrendes Behaupten und Unbarmherzigkeit gegen die „Feinde“. Das verspricht „Erlösung“. Die vorbereitende wichtigste Haltung des Dagegenhaltens muss daher sein, wo immer es geht, sich für an den Pranger gestellte „Feinde“ einzusetzen und auch Gutes über sie zu erzählen. 22. Jänner 2021
Das Gutsein Gottes, spürbar in der Schöpfung
Gotthard Fuchs sieht in der neuen Ausgabe von „Christ in der Gegenwart“ (3_2021) in seiner Kolumne „Mystik im Alltag“ im Impfstoff etwas den Sakramenten Ähnliches. Heilung wird von ihm erwartet. Man glaubt an die Impfung. Mit dieser Parallele Impfstoff-Sakrament steigt er in seinen Artikel ein. Er schreibt dann schon sakramenten-theologisch, dass der Vergleich hinkt. Darum geht es mir in diesem Nachdenken nicht. Mir geht es um eine Aussage in der Kolumne. Gotthard Fuchs rezipiert im Zuge seiner Erläuterungen die Sakramententheologie, wonach Sakramente Wert und Wirkung schon in sich haben. Sie hängen also nicht vom Glauben und davon ab, ob der Spender gläubig lebt. Christus ist Heilsmittel und Heilsmittler … In weiterer Folge schreibt Fuchs: „Noch in jeder Heilspflanze zeigt sich etwas von diesem gottgeschenkten Gutsein der Schöpfung. „Mir ist das zu einfach und einseitig. Wenn sich in den guten Dingen dieser Welt das Gutsein Gottes zeigt, was zeigt sich dann in den schlechten Dingen? Sein Schlechtsein? Mit schlechten Dingen meine ich nicht, was Menschen Schlimmes tun oder Gutes verweigern. Ich meine die in der Natur angelegten Katastrophen gegen den und Verletzungen des Menschen: Erdbeben, Vulkanausbrüche, zerstörerische Meteoriteneinschläge, … Aber auch die kleinen Bösartigkeiten: Schwere Krankheit bringende Stechmücken etwa (inklusive Todesfolgen), tödlich giftige Bisse von Tieren, todbringender Verzehr giftiger Pflanzen. … (Nicht nur Menschen sind davon betroffen, auch Tiere.) Auf solche Beispiele würde mir Michael Rosenberger und mit ihm viele Kirchliche wohl antworten: Ja, manches ist für uns unbegreiflich, zudem müsse der Mensch lernen, richtig damit umzugehen, den Gefahren klug vorzubeugen, … Das auch, wir müssen Schutz lernen, richtiges Verhalten. Unser Schutzwissen stützt sich aber auf die Erfahrungen, dass dieses und jenes Tod und Krankheit bringt. Es müssen im Lauf der Geschichte viele tausend schlimme-tödliche Erfahrungen stattgefunden haben, damit der Mensch jetzt „gewitzt“ sein kann. Das hieße aber, Gott wäre ein zynischer. Er kalkuliert die todbringenden Erfahrungen der ahnungslosen, der unwissenden, sich nicht schützen könnenden Geschöpfe ein. Oder aber: die Menschen, die lange vor uns gelebt haben, wären in seinen Augen wertloser, sie brauchte es, um unser Schutz-Wissen aufzubauen … In der Logik des von Gott geschenkten Gutseins der Schöpfung wäre das folgerichtig. Oder? Es muss daher einen anderen Blick auf die Schöpfung geben, wir dürfen nicht beim einseitigen stehen bleiben, der die Schönheit der Natur als Gottes-Beweis anführt. Wir müssen erkennen, dass wir uns Gott nicht denken können. Dass alle unsere Erklärungen verharmlosend sind, unwissend verharmlosend. 20. Jänner 2021
Sonntagsgedanken
Sonntag ist. Was heißt das heute noch? Für Dich vielleicht noch mehr als für mich, der den Sonntag schon ganz verloren hat. Mir geht dabei viel ab. Der Sonntag unterscheidet sich nicht mehr von einem Montag oder Donnerstag. Die Woche hat den Rhythmus verloren, in Corona-Zeiten zusätzlich. Aber es ist noch viel mehr verloren – die Stärkung, die aus dem „Sakrament“ der Gemeinschaft kam. Wenn gemeinsame Rituale, gemeinsames Bezeugen, gemeinsames Hören, gemeinsames Singen, gemeinsam angestoßenes Nachdenken und gemeinsame Freude verschwinden, verschwindet damit auch das Gefühl, dazuzugehören, irgendwo Teil eines großen Ganzen zu sein. Der Verlust des Sonntags wirft den Menschen, wirft mich auf meine Kläglichkeit zurück.
Ich wünsche Dir, liebe Leserin, lieber Leser, dass Du Dich nicht zurückgeworfen, sondern vorwärtsgetragen fühlst. Dass Du spürst, es geht voran. Dass Du in Dir auch ein bisschen Sonntag, Gemeinschaft und Dazugehören spürst. 17. Jänner 2021
Livestream-Gottesdienste
(Ich kann dieser Form der Gottesdienste nichts abgewinnen, das wissen meine FreundInnen, darunter auch Menschen in seelsorglicher Verantwortung). Im Folgenden meine Refelxion auf einen Livestream-Gottesdienst vom 6. Jänner 2021
Ich hab einer WGF im Livestream „beigewohnt“ – ich meine nicht die veraltete Verwendung des Wortes, sondern seine gehobene Verwendung: bei etwas zugegen sein, etwas miterleben. Also ein vor dem PC in seinem Wohnbereich sitzendes Miterleben. Damit wird das Wort beiwohnen im wörtlichen Sinn akut: ich habe gewohnt und war beim Geschehen in der Kirche dabei. Wie wohnt man? Man lümmelt vielleicht, lässt sich von der Katze umschmeicheln, isst eventuell ein Joghurt, macht sich vielleicht ein Bier auf, schaut den Vögeln im Futterhaus zu oder erschlägt eine Spinne. Vielleicht bohrt man in der Nase oder muss mal kurz aufs Klo … es gibt so viel zum Wohnen, da gehört auch das Beiwohnen dazu. Um nicht falsch verstanden zu werden: ich bin sehr für Feiern im Wohnumfeld, dann aber mit Einbindung, mit „Realpräsenz“ der Feiernden, mit echter und nicht mit zuschauender Gemeinschaft. Nicht mit Zauberflair, sondern mit einer den Alltag bezaubernd erleben lassender Gemeinschaft: hinhören auf die Botschaft, Gespräch darüber, sich miteinander freuen, sich bestärken, um Not zu lindern, miteinander essen und trinken, teilhaben lassen an seinen Gütern (an seinem Guten) und das alles im Bemühen, dem Vorbild der Mahlgemeinschaft Jesu nachzufolgen und sich um Erinnerung zu bemühen.
Zu all dem Inhaltlichen aber noch was Formales: ich bin mindestens fünf, wahrscheinlich zehn Minuten im Internet herumgeirrt, bis ich endlich zum Livestream kam. Der mir zugesandte Link brachte mich auf die Homepage einer Pfarre im Seelsorgeraum. So viel ich mich aber bemühte, ich wurde nicht Livestream fündig. Irgendwie kam ich von dort auf eine österreichweite Seite, in der allerdings nur ein paar Livestream-Gottesdienste (von irgendwo) angeboten wurden, zwei davon von irgendwann (Weihnachten). So versuchte ich es über die Homepage der Pfarre, aus der der Gottesdienst übertragen wurde. Dort wurde ich auf deren Facebook-Seite verwiesen. Und tatsächlich landete ich dann auf einer Unterseite jener Pfarre des Seelsorgeraums, die ich anfangs meiner Bemühungen schon aufgerufen hatte, dieses Mal aber samt entsprechender Weiterleitung zum Livestream-Link. Geschafft! Aber – so meine Vermutung – die Gottesdienste werden eher wenig internet-vertraute Kirchenmitglieder aufrufen wollen. Die werden, wenn sie überhaupt PC und Internet-Zugang haben, auf einer solch detektivischen Odysee durch das Internet vor der Zielerreichung aufgeben. Warum muss das so versteckt bzw. kompliziert gemacht werden?
Dazu eine Ergänzung, geschrieben am 8. Jänner
Die drei Könige wollen noch nicht weiterziehen. Sie beraten erst, wie sie das Geschenk, das sie bekommen haben, verlustlos nach Hause bringen können: den inneren Frieden. Er kommt aus der Begegnung, aus der unmittelbaren. Der Stern wartet schon ungeduldig auf sie, um sie zu begleiten. Doch der Stern schenkt den Frieden nicht, er tut nur Kunde davon. Der innere Friede braucht wahre Begegnung. Wenn sie heimziehen, müssen sie sich nicht nur von Betlehem trennen, sondern auch voneinander. Wie kann Begegnung in getrennten Zeiten geschehen, ist ihre Frage. „Versucht es mit Erinnerung und Nachahmung!“ – Wer hat das vorgeschlagen? – Und noch einmal kommt der Vorschlag: „Versucht es mit Erinnerung und Nachahmung und ladet zu diesem Tun die Menschen ein, die um euch sind.“ Leibhaftiges Dabeisein, das haben die drei Könige verstanden, darum geht’s. Leibhaftiges Mittun-Können, nicht als Theaterbesucher etwas sehen. Erleben, nicht bloß andere beim Erleben erleben!

Dein Licht kippt die Ordnung
(Text, veröffentlicht vom Bibelwerk Linz in der Reihe „aufatmen“ – Advent 2020, 6. Jänner 2021)
Siehe, Finsternis bedeckt die Erde
Die Schwachen werden an den Rand gedrängt
Die Flüchtlinge kippen vom Bootsrand ins Meer
Dunkel liegt über den Völkern
Das Haben hat das Sein
in die Kälte gejagt
Doch in diese Kälte strahlst Du
Dein Glanz ist Barmherzigkeit
Die Strahlen wärmen das verstoßene Sein
Deine Herrlichkeit ist machtlos
aber aufrichtend und zuwendend
und ruft die Schwachen in die Mitte
Ohnmächtige wandern dem Licht zu
und werden zu Königen Deines Glanzes
Du kippst die Ordnung
Dein Licht zeigt den Weg
und leuchtet den Festsaal aus
Die Maßlosen sitzen im Dunkeln
Ernst Gansinger
Anrührer statt Anführer
(Text, veröffentlicht vom Bibelwerk Linz in der Reihe „aufatmen“ – Advent 2020, 30. November 2020)
Mir nach!
Welch ein Ruf. Welch ein ins Verderben führender Ruf!
Mir nach – plärren Anführer und Aufrührer.
Mir nach – der Ruf sammelt zu Raub und Verwüstung.
Mir nach!
Welch ein sanftes Wort. Welch ein Zutrauen zum Aufleben!
Mir nach – ist die Einladung eines Anrührenden.
Mir nach – sammelt zum Fest des Miteinanders und Füreinanders.
Kommt her!
Bin ich gemeint?
Ruft ein Führer oder ein Mitgeher?
Soll ich einen Führer stärken oder will mich ein Mitgeher bestärken?
Kommt her – ich hör den Ruf, aber …?
Kommt her!
So rufen Flüchtlinge, die im Meer gegen das Ertrinken kämpfen.
Mir nach, sagt der, der ihnen übers Wasser zugeht.
Kommt her – ruft ein einsamer Mensch im Seniorenheim.
Mir nach, sagt der, der schon in seiner Seele wohnt.
Kommt her! Mir nach!
Jetzt und immer entscheidet sich:
Folge ich dem Locken Mächtiger
oder dem Werben eines Ohnmächtigen der Liebe?
Ernst Gansinger
Tageslesungen vom Sonntag, 15. November 2020, 33. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A, samt meiner „Zurechtbiegung“
1. Lesung, Spr 31,10–13.19–20.30–31
Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert. Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie und es fehlt ihm nicht an Gewinn. Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens. Sie sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet voll Lust mit ihren Händen. Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand, ihre Finger fassen die Spindel. Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen. Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, eine Frau, die den HERRN fürchtet, sie allein soll man rühmen. Gebt ihr vom Ertrag ihrer Hände, denn im Stadttor rühmen sie ihre Werke.
2. Lesung,, 1 Thess 5,1–6
Über Zeiten und Stunden, Schwestern und Brüder, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen. Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nicht im Finstern, sodass euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.
Evangelium, Mt 25, 14-30
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten Silbergeld
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
Was mir dazu durch den Kopf geht:
Welcher Gott wird mir in diesen Lesungstexten vorgestellt? Wie kann ich ihn mir denken? – Der kurze Text aus dem Alten Testament stellt mir eine Frau vor, die aus Glaube (Gottes-Ehrfurcht) Gutes tut und vom Ertrag ihres Gutseins selber etwas abbekommen soll. Dort, wo die Menschen zusammenkommen, wo die Torwächter stehen. Die den Himmel öffnenden Türsteher rühmen ihre Werke.
In der zweiten Lesung aus dem Ersten Brief an Menschen in Saloniki wird Gottes Handeln mit dem Handeln eines Diebs verglichen. Er kommt und nimmt, nimmt ohne auf irgendetwas zu achten. Gott zwingt uns dadurch, nicht zu ruhen, damit uns der Tod nicht überraschen kann. Zwingt er uns wirklich dazu? Geht es nicht viel mehr darum, nicht zu ruhen, täglich ein Stück des Himmels mitten in unser Sein, mitten in unsere Welt zu holen. Gott ist mitten unter uns, holen wir den Himmel nach!
Und das Evangelium vergleicht Gott mit einem zornigen, niederdrückenden, ungerechten Diktator. Wer nicht zur Mehrung seines Ruhms beiträgt wird der Vernichtung preisgegeben, wer das meiste beiträgt, bekommt noch einen Extra-Orden. Und zudem sind die Möglichkeiten von Anfang an ungleich verteilt. Es gibt also Liebkinder. Aber nein. Ich weigere mich, das so zu lesen.
Auf „Vatikan News“ habe ich Betrachtungen eines Pfarrers zu den Evangelien im November gelesen. Er stellte zur Bergpredigt das Leben der Heiligen als „Betriebsanleitung“ auf dem Weg zu unserer persönlichen Heiligkeit vor. Betriebsanleitung also. Und was sagt die Betriebsanleitung zum obigen Evangelium, zunächst über die von Anfang an unterschiedliche Verteilung der Talente: „Jeder Mensch hat von Gott eine unterschiedliche Anzahl von Gaben, eine unterschiedliche Anzahl von Talenten erhalten. Oder anders ausgedrückt: Jeder Mensch hat von Gott einen individuellen Lebensauftrag erhalten, der nur ihm gilt.
Wenn wir einen Lebensauftrag haben, einen ungleichen, dann ist Gott also von Anbeginn der Ausstatter, der Eingreifer. Dann ist er aber auch der, der unser Sein lenkt, Glück und Unglück über uns bringt. Zumindest am Anfang. Nein, nicht nur am Anfang, denn der Pfarrer erläutert weiter: Der auf Reisen gehende Mann, mit dem Jesus dem Evangelium nach das Himmelreich vergleicht, „ist Christus selbst. Und wir als Getaufte sind die Diener, denen er Sein Vermögen anvertraut hat. Das können beispielsweise Gesundheit, Begabung, Ausbildung, Fähigkeiten, Amt und Stellung sein.“ – Also auch im Werden nach der Geburt hat Gott seine Finger im Spiel. –
Ich hab ein ganz anderes Gottesbild. Aber dazu später. Vorerst lesen wir weiter in der „Betriebsanleitung“, die der Pfarrer erkennt:
Gott „gibt uns volle Freiheit und Verantwortung im Umgang mit unseren Begabungen und Fähigkeiten. Wir müssen also die Initiative ergreifen und etwas aus unseren Talenten machen. Damit tragen wir aber auch die volle Verantwortung für das Gelingen. Und die Erwartung ist hoch. Der Herr erwartet einen hohen Gewinn: nämlich 100 %. Und diese 100 % sind nur mit einem 100-prozentigen Einsatz zu gewinnen. Dienst nach Vorschrift: das reicht nicht.“ (Dass er da „Dienst nach Vorschrift“ als Bild heranzieht, ist wahrscheinlich seinem ursprünglichen seelsorglichen Einsatz – bei der Bundeswehr – geschuldet). – Die Betriebsanleitung weiß also von einem Gott, der auf höchsten Gewinn aus ist, Gott als maximaler Kapitalist. Das Kapital (und sei das Kapital die Begabung) gelte es zu mehren, und nicht den Menschen als Abbild Gottes zu sehen, als sein von Anfang an geliebtes und von ihm liebend umworbenes Geschöpf. –
Ich hab ein ganz anderes Gottesbild. Aber dazu später. Vorerst lesen wir weiter in der „Betriebsanleitung“.
„Nichts“, so liest der Pfarrer weiter aus der Betriebsanleitung, „nichts von dem, was Gott gegeben hat, geht verloren. Das eine Talent wird dem gegeben, der sich zehn Talente erarbeitet hat. Gottes Gaben gehen also niemals verloren! Verloren gehen kann nur der Mensch, der Gottes Gaben nicht gebraucht. Denn eines Tages wird der Herr kommen, um Rechenschaft über die Verwaltung der Talente zu fordern. Hier entscheidet sich dann der Wert unseres irdischen Lebens. Das heißt: auf den Tod folgt die Verantwortung.“ – Verlorengehen kann nur der Mensch. Nicht einmal ein verlorengegangenes Schaf kann für einen guten Hirten verlorengehen, er geht ihm nach. Der Mensch aber schon, der hat sich das selber zuzuschreiben. Er hat zu verantworten, nichts getan, außer sich gefürchtet zu haben. Er hat dann keinen Wert mehr. – Pfarrer, glaubst Du das wirklich?
Ich hab ein ganz anderes Gottesbild. Aber dazu später. Vorerst lesen wir weiter in der „Betriebsanleitung“.
Das Gute unterlassen stehe in der Rangordnung vor den bösen Taten, liest der Pfarrer aus der Betriebsanleitung heraus. Mit diesem Satz kommt der Pfarrer auf die Einleitung seiner Auslegung zurück, in der er die Kurzgeschichte von Don Pedro Calderon de la Barca „Der gute Mensch am Höllentor“ erzählt: Viele Menschen stehen vor dem Eingang zur Hölle. Es gibt aber nur noch einen freien Platz, darum will der Teufel den Allerschlimmsten finden, der des Platzes würdig wäre. Die gröbsten Täter sind ihm zu wenig schlimm. Der letzte in der Reihe ist einer, der von sich überzeugt ist, nichts Schlimmes getan zu haben, sich an keinem Raub, Mord, Diebstahl, halt an nichts Bösem beteiligt zu haben. Er habe einfach nichts gemacht. Der Schlussder von ihm ausgedeuteten Betriebsanleitung liest sich dann so: „Damit wäre nun auch klar, warum der Teufel am Höllentor nicht irgendeinem Schwerverbrecher den letzten Platz in der Hölle gibt, sondern dem guten Menschen, der nichts getan hat.“ –
Dieser Schlussfolgerung kann ich viel abgewinnen, wenn ich die Höllenphantasien beiseite lasse. Doch insgesamt geht es nicht um eine Betriebsanleitung, wie man in den Himmel und nicht in die Hölle kommt, sondern um die Einladung, die dringende Bitte Gottes, füreinander da zu sein. Jetzt schon mitzuhelfen, ein Stück Himmel auf die Erde zu holen.
Ich versuche daher, das Evangelium aus diesem meinem Gottesbild-Blickwinkel heraus zu formulieren. Ich gebe zu, es ist eine ziemliche Zurechtbiegung. Aber dieser Gott der Liebe will, davon bin ich überzeugt, unsere liebende Zurechtbiegung. Stellen wir unser Gottesbild in das Licht seiner Menschenfreundlichkeit! Und verkünden wir im Stadttor, wie Gott in uns wirkt!
Ich würde in diesem Stadttor den Text dann so lesen: Mit dem Himmel ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Belegschaft und vertraute ihr seine Anlagen, sein Anliegen an. Einem übergab er den Außendienst, einer anderen die Buchhaltung, wieder einer anderen die Personalleitung und so weiter. Allen übergab er, wofür er sie für befähigt hielt. Und alle versuchten nun, nach ihren Vorstellungen, ihren Fähigkeiten und den ihnen anvertrauten Aufgaben das Unternehmen weiterzuführen. Einer aber war überfordert. Von klein auf damit konfrontiert, ein Nichtsnutz zu sein, lebte er in der Angst, auch jetzt wieder zu versagen. Nur ja kein Risiko eingehen, dachte er bei sich, und das bewahren, was mir übergeben worden ist.
Als nach langer Zeit der Chef zurückkam, ließ er sich berichten, wie die Teamleitung des Unternehmen funktioniert hat. Alle berichteten von ihren Erfolgen und dass das Unternehmen gewachsen sei. Dafür gab ihnen der Unternehmer Extra-Boni und lud sie zu einem großen Fest, einem Gala-Diner ein. Der eine Mitarbeiter aber, der sich aus lauter Angst vor dem Versagen mitsamt seinem Auftrag versteckt hatte und darüber wachte, dass niemand den ihm anvertrauten Teil beschädigen konnte, stand kleinlaut vor seinem Chef und gab ihm den unerfüllten Auftrag zurück. Da reute es den Unternehmer, diesem Mitarbeiter so viel Last aufgeladen zu haben, er hätte wissen müssen, dass er diesen damit überfordere. Du warst nicht der richtige Mann an diesem Platz, sagte er! Haben dir denn die anderen, die ich mit so vielen Befugnissen ausgestattet hatte, nicht geholfen? – Wie hätten sie helfen können, ich wagte sie nicht anzusprechen, sagte der Erfolglose. – Gib mir Deinen Auftrag, ich geb ihm jenem, der am belastbarsten ist, antwortete da der Chef. Denn wer leisten kann, dem wird zugemutet, aber er wird auch die Kraft dazu haben; wer aber zu schwach ist, der soll von überfordernden Erwartungen entlastet sein. Werft die uneinlösbaren Erwartungen weg, hinaus von den Orten, an denen sie überfordern, hinaus in die Finsternis, ich will von ihnen nichts mehr wissen. Wir aber, und auch Du, mein schwacher Freund, wir feiern ein Fest, weil wir es zusammen gut haben und uns gemeinsam entwickeln können.
Ernst Gansinger, 15. November 2020
Tageslesungen vom Sonntag, 8. November 2020
und was mir dazu durch den Kopf geht
Erste Lesung
Buch der Weisheit; Weish 6, 12–16
Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie.
Denen, die nach ihr verlangen, kommt sie zuvor und gibt sich zu erkennen.
Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen.
Über sie nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei.
Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt ihnen entgegen bei jedem Gedanken.
Zweite Lesung
Erster Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher; 1 Thess 4, 13–18
Schwestern und Brüder, wir wollen euch über die Entschlafenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.
Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen.
Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind bei der Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen nichts voraushaben.
Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen;
dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt zur Begegnung mit dem Herrn. Dann werden wir immer beim Herrn sein.
Tröstet also einander mit diesen Worten!
Evangelium
Evangelium nach Matthäus; Mt 25, 1–13
In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:
Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen.
Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug.
Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl,
die klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit.
Als nun der Bräutigam lange nicht kam,wurden sie alle müde und schliefen ein.
Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen!
Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.
Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus!
Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch!
Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen.
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf!
Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Meine Gedanken dazu
Schon sehr früh begann ich, gegen diese Evangelium zu rebellieren. Es vermittelte und vermittelt mir einen ganz anderen als den Barmherzigkeit verkündenden und einladenden Jesus. Die Sprache diskriminiert auch, wenn jemand als töricht bezeichnet, die Klugheit gepriesen wird, und die Nicht-so-Klugen dumm dastehen. Zudem muss es nicht dumm sein, etwas nicht bei sich zu haben, was man dringend braucht. Es kann auch Vergesslichkeit sein und meinetwegen auch Faulheit. Aber auch diese beiden Gründe – Vergesslichkeit oder Faulheit – rechtfertigen das kalte Verhalten nicht und schon gar nicht die „Höchststrafe“ – Ausschluss vom Fest. Und dann sind da noch die Musterschülerinnen, die mit einziehen dürfen in den Festsaal. Ich habe ein Leben lang aus der christlichen Botschaft herausgehört: teilen, zuwenden, helfen – mit anderen zu teilen, sich den Schwachen zuzuwenden, auch Fremden zu helfen … Und dieses Evangelium gibt der Kälte des Nicht-Teilens, dem Egoismus, der Nicht-Teilnahme am Schicksal anderer Recht.
Die erste Lesung preist für mein Sprachempfinden auf sehr schöne Art eine ganz andere Klugheit. Sie preist die Weisheit. Und damit das Sehen, Erkennen, Erfahren. Nicht das Wissen. Blättern wir zunächst im Duden, was Weisheit ist: Sie ist „auf Lebenserfahrung, Reife [Gelehrsamkeit] und Distanz gegenüber den Dingen beruhende, einsichtsvolle Klugheit.“
Verfolgt man das Wort „Weisheit“ in der Sprachgeschichte zurück, gehen Weisheit und Wissen seit jeher Hand in Hand. Weisheit hat die gleiche indogermanische Wurzel wie „Wissen“. Ursprünglich, so kann man in Nachschlagwerken über Wortherkünfte lesen, „meinte diese Wortform vermutlich zuerst ‚sehen‘ oder ‚gesehen haben‘.“ Im Deutschen verweisen heute noch verschiedene „Weisen“ darauf, dass im Wortstamm „weisen“ das Sehen fundiert ist: jemanden unterweisen, ihm also zeigen, ihn führen, belehren“. Auch das ist interessant: Ein weiser Mensch tut sich leichter, ein gewitzter zu sein. Im Wort „gewitzt“ steckt auch „weise“.
Mit der Weisheit des Sehens gelesen
Wenn ich vor diesem Sprachhintergrund die erste Lesung „sehend“ lese, öffnen sich mir die Augen: Strahlend und unvergänglich ist das Erkennen-Können; wer es liebt, erblickt es schnell, und wer es sucht, findet es. Denen, die sehen und erkennen möchten, kommt sie zuvor und gibt sich zu erkennen. Wer es am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet es vor seiner Türe sitzen. Wenn er sie hereinlässt, öffnen sich ihm die Augen. Dem Sehen- und Verstehen-Wollen nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit; wer dessentwegen aufmerksam ist, wird schnell von Sorge frei. Ihr braucht es aus euch heraus nicht erkennen, ihr brauch nur erkennen wollen. Das Erkennen-Können geht selbst umher, um die zu suchen, die es wollen; freundlich erscheint es ihnen auf allen Wegen und kommt ihnen entgegen bei jedem Gedanken.
Man nennt es auch Einsicht. Die Verweigernden sind die Uneinsichtigen.
Nicht im Wissen liegt unsere Möglichkeit, sondern im Wunsch zu sehen und zu erkennen, im Wunsch nach Nähe zum Augen-Öffner. In der Einsicht liegt die Klugheit, in der Uneinsichtigkeit die sich selbst ausgrenzende Torheit, die nicht bereit ist, am Fest teilzunehmen. Jetzt schon.
Und einmal werden auch die Uneinsichtigen zu Sehenden!
Ernst Gansinger
Ernste(n)s Allerheiligen, 1. November 2020
Habt einen guten Allerheiligentag, einen Alles-heiligen-Tag. Einen Tag, der die innere Sicht frei macht darauf, was Euch alles heilig ist. Einen Tag, der Eure Hände und Füße wie auch Eure Stimmen öffnet, um vieles, was Ihr tut und sagt und nicht tut und nicht sagt, zu heiligen. Einen Tag, der Eure Gedanken bei den Geheiligten verweilen lässt. – Bei den Bescheidenen. Bei den Verlorenen und über Verluste Weinenden. Bei jenen, die ihre Ellbogen nicht einsetzen. Bei jenen, die nicht danach fragen, was ihnen zusteht, sondern danach, was anderen gut tut. Bei jenen, deren Tun einem warm ums Herz werden lässt. Bei jenen, die die Wahrheit nicht verbiegen. Und bei jenen, die nicht mit ihren Worten Krieg führen. Einen Tag, an dem die Hoffnung Eure Seelen aufhellt, dass da Einer ist, dem alles heilig ist, was lebt, weil es ein geliebtes und zur Liebe befähigendes Leben ist.
Heilig sein, heißt lieben, und in diesem Lieben geht der Tod in Leben auf. So wünsche ich Euch, dass Ihr die geheiligte, die geliebte, die liebende Welt atmen könnt!
Ernst
Laien unerwünscht
27. Oktober 2020
Aus der FAZ: „Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz wollte zusammen mit zwei führenden Laienvertretern zu Gesprächen in den Vatikan reisen. Aber der beschied Bischof Georg Bätzing jetzt: Vorerst rede man nur mit Bischöfen.“ – Ich bin zum zigsten Mal enttäuscht. Wie singen Pizzera und Jaus (Eine ins Leben): „Das Schöne an Enttäuschung ist, du bist dann ent-täuscht.“ Nein, es ist nicht schön. Jede dieser Hirten-Enttäuschungen ist ein Schlag mit dem Vorschlaghammer zB auf die beiden Aussagen: „Kirche sind wir alle“ sowie „… bei euch soll es nicht so sein ..“ – Hirten, Ihr lauft der Herde weg!
Wofür dankt, wer wankt?
Gedanken, inspiriert von der Schwierigkeit des Dankens und dem Evangelium vom Sonntag, 27. September, an dem viele Pfarren Erntedank feiern:
Zunächst wünsch ich allen: Erfahren Sie den Dank jener, um die sie sich sorgen, mit denen sie leben, für die sie da sind. Danken heißt wertschätzen, mehr noch: schätzen!
Erntedank ist das Fest der Dankbarkeit für die Früchte aus Anstrengung und für die geschenkten Früchte. Aber wie viele Menschen strengen sich an und es wird ihnen auch noch genommen! Was ist dann die Idee der Dankbarkeit? Der glauben könnende Mensch mag vielleicht für den Glauben danken, der ihm reiche Ernte in der Zukunft verspricht, nein: verhofft. Aber wer nicht glauben kann und nicht erntet, dem sogar genommen wird – Lebensfreude, Ansehen, Teilhabe, Grundlagen für den festen Stand …? – Wofür dankt, wer wankt? – Darüber mach ich mir oft Gedanken. Und immer wieder komme ich auf zwei Grundausrüstungen zum Rudern im Leben: die Erinnerung und die Hoffnung. Sie sind die Strohhalme des dürren Lebens und das Speicherkraftwerk von Leben und Lieben. Heute lese ich im Evangelium: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ – Jesus meint die Hohepriester und Ältesten, jene, die am Gesetz, Buchstabe für Buchstabe, hängen. Und wenn Jesus der Verkünder des schon angebrochenen Reiches Gottes ist, dann heißt sein Wort, das diesen Sonntag in den Kirchen gelesen wird: Die „Frommen“ sind vor lauter Sturheit blind, das auch an sie schon heranreichende Reich Gottes zu sehen. Die Blindheit versagt ihnen, in es einzutreten. Sie bringen ihre Ernte nicht ins Licht der Freude. Bitterkeit legt sich über ihre Anstrengungen. Das Reich-Geschenk können sie nicht annehmen. Wofür sollten sie danken?
Wenn ich diese beiden Tonquellen in meiner Seele zusammenbringe – die Töne, die von der Erinnerung und der Hoffnung her klingen, und die Töne, die denen zuklingen, die vielfach scheitern: dass sie auf der Suche nach Gerechtigkeit sind, und diese Suche ins Reich Gottes führt – dann formen sich die Töne zu einer Melodie: zur Melodie der Dankbarkeit, der Gemeinschaft und der Entschwerung.
Ernst Gansinger
Gott fühlt und füllt mit
Gedanken zum Evangelium vom heutigen Sonntag – 23. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A, 6. September 2020
Mt 18,15-20
Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. Weiter sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
An diesen letzten beiden Sätzen – Vers 19 und 20 – reibe ich mich:
Warum müssen zwei einmütig bitten, damit die Bitte bei Gott Sinn macht? In der Einsamkeit wird der Mensch zum flehend Bittenden. Die Einsamkeit gebiert die Bitte. Wo nimmt der einsame und verlassene Mensch nur den zweiten Menschen her, der noch dazu eines Mutes mit ihm sein muss? Woher kommt zum unbesuchten siechenden Mann ins Altenheim der mitbittende Mensch? Woher kommt ein verstehender und mitbittender Mensch zu all den Verlassenen? Und wer hat an der Seite von Jägerstätter oder Spanlang oder Etty Hillesum oder Edith Stein oder … in den Torturstätten der Nazis einmütig mitbeten können? Ich kann nicht glauben, dass Gott des einsamen Bittgebets spottet und sagt: mach dich auf die Suche nach Mitbittenden!
Ich verstehe schon: Jesus drängt die, die mit ihm gehen und ihm nachfolgen zur Gemeinschaft. Gemeinschaft gibt Kraft und stärkt den Glauben. Aber die bittersten Stunden erfahren Menschen, die aus der Gemeinschaft gerissen werden und einsam ums Leben (oft nicht einmal um ein gutes, einfach ums bloße) kämpfen. Alfred Delp etwa im KZ oder Bruchpilot Antoine de Saint-Exupéry, der sich fünf Tage durch die Wüste bei Kairo schleppt. Auch Mutter Teresa war jahrelang einsam vom Gefühl gequält, von Gott verlassen zu sein. (An ihren Beichtvater schrieb sie 1961: „Seit den Jahren 49 oder 50 dieses furchtbare Gefühl der Verlorenheit, diese unbeschreibliche Dunkelheit, diese Einsamkeit. Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer. In mir ist kein Gott. Er will mich nicht.“) … Außerdem: Ist‘s wirklich so, dass sich der Mensch bei Gott etwas erbitten kann? Jesus war am Ölberg auch ein einsam Bittender – Lk 22,42: „Vater, wenn Du willst, nimm diesen Kelch von mir.“ – Er fügt dann an: „Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“
Hat ein Mensch, für den und mit dem viele bitten, größere Chancen, bei Gott mit seinem Bedürfnis gehört zu werden. Und ist es dann so, dass um jene, um die kein Hahn kräht, auch Gott nicht wahrnimmt?
Mit dem Bittglauben, der aus Gott einen Zauberer für meine Wünsche macht, kann ich nichts anfangen. Dieser Glaube ist mir häretisch. Bitten aber ist mir vertraut: Wenn ich intensiv meine Not und meine Bedürftigkeit Gott mitteile, sie also mit ihm teile, kann es geschehen, dass ich sein Bei-mir-Sein spüre. Er wird zum Mitleidenden, aber nicht zum Leidwendenden. Das erfuhr auch Jesus am Ölberg. Die oben erwähnte Lukasstelle fügt an – Vers 43 und 44: „Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.“
Wenn ich so über meinen und aus meinem Glauben heraus nachdenke, reibe ich mich nicht mehr so sehr an den beiden Sätze des heutigen Evangeliums, denn ich interpretiere sie nun so: Gemeinschaft trägt, wie erst die Gemeinschaft mit Gott! Tragende menschliche Gemeinschaft hilft den Brunnen in mir zu füllen, den Gemeinschaftsbrunnen mit Gott, von dem Etty Hillesum schreibt. Aus ihm kann ich schöpfen, so einsam ich auch bin. Denn Gott füllt und fühlt immer mit.
Ernst Gansinger
Gott will nicht Opfer, aber Liebesmut
Evangelium 22. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A, Mt 16,21-27
30. August 2020
In jener Zeit begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden.
Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen, und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!
Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.
Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?
Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommen und dann wird er jedem nach seinen Taten vergelten.
„Das darf nicht geschehen! Du hast die Macht, das kannst Du verhindern.“ -So ähnlich hab ich viele Jahre mit Petrus gedacht. Und die Antwort von Jesus war grob, ungerecht, jenen als Satan zu beschimpfen, der ihm Gutes will!
Was aber, wenn das Evangelium so zu lesen wäre:
In jener Zeit begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse in unsere Stadt kommen. Dort werde er von den kirchlichen Amtsträgern, Zeremonienmeistern und den politischen Machthabern vieles erleiden, man werde ihm gar nach dem Leben trachten. Aber wenn das sein soll, dann wisse er sich bei Gott aufgehoben. Er müsse dem treu bleiben, was er verkündet: Gottes Sehnsucht nach den Menschen; das Himmelreich-Programm: Gemeinschaft, Füreinander-da-Sein, Barmherzigkeit, nicht Opfer! Nicht, um mich zu erlösen, müsse er sterben, sondern um sich treu zu bleiben, werde er sterben.
Da drängte ich mich an ihn heran und sagte zornig: Das soll Gott verhüten, dem Du so nahe bist! Das darf nicht mit dir geschehen, Gott darf das nicht zulassen!
Jesus aber sagte zu mir, der ich hinter ihm hermaulte: „Sag das nicht, das sind Gedanken der Unterwerfung an zerstörende Systeme: Nur ja nichts tun, was den Zorn der Mächtigen weckt. Was du sagst, ist ärgerlich, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Verstehe es nicht falsch: Gott will nicht das Leid, er will, dass es überwunden wird. Es kann aber nur überwunden werden, wenn du und alle, die meine Botschaft im Mund führen, vor dem Leid nicht fliehen, das die an den Schalthebeln der Macht Sitzenden über die Machtlosen schütten.
Und Jesus fuhr fort: Wer hinter mir hergehen will, entsage dem bequemen Weg, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Das kann im Streit mit nahestehenden Menschen das Kreuz des Nachgebens um des Friedens willen sein, genauso kann es aber das Kreuz des Widersprechens sein, um Unterdrückung zumindest zu lindern. Es kann das Kreuz des Angefeindet-Werdens sein, wenn man nicht alles hinnimmt, was einem Menschen, die das Sagen haben, vorsagen, genauso aber kann es auch das Kreuz des Hinnehmens von ungerechter Behandlung sein, um sich selbst treu zu bleiben. Es kann auch das Kreuz sein, verspottet zu werden, weil man nicht mit der Masse schreit, genauso das Kreuz des Hohns, wenn man standhaft widerspricht. Das Kreuz hat tausend Formen, aber einen Grund: die Liebe. Wer sein gutes Leben über jenes der anderen stellt, wird sehr einsam werden; wer aber sein Leben mit anderen teilt, wird in göttlicher Gemeinschaft sein.
Was nützt es einem Menschen, wenn ihm die ganze Welt zu Füßen liegt, er aber nicht in die Herzen der Menschen findet? Liebe ist nicht zu kaufen, nur zu leben. Der Menschensohn wird dort sein, wo die Liebe ist, und die Liebe lohnt jedes gute Tun.
Ernst Gansinger
Wer ist Petrus?
Ich warne, wer weiterliest, soll wissen: ich bin kein Theologe. Aber ich denke viel über Theo-Logisches nach. Und ich glaube, wir sollten viel mehr selber denken und drüber reden, als uns ex cathedra verordnen zu lassen.
So habe ich mir zum heute in den katholischen Kirchen verkündeten Evangelium Gedanken gemacht:
Mt 16,13-20, Evangelium am 21. So Jk, Lj A, 23. August 2020
Der Text, wie er in der Einheitsübersetzung zu lesen ist:
Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.
Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen halten die Menschen den Menschensohn? Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus antwortete und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein. Dann befahl er den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei.
Und so würde ich ihn in unsere Zeit übertragen:
Ihr seid Felsen, und auf diesen wird die Botschaft weiterwirken.
Als Jesus in das Gebiet kam, wo die Katholiken wohnten, fragte er seinen engsten Kreis (Wer zählt da dazu, wer von der Hierarchie, wer vom „Volk“?) und sprach: Für wen halten die Menschen mich hier? Sie sagten: Die einen für einen Sonderling, andere für einen Übernatürlichen, wieder andere für einen Häretiker oder sonst vom Glauben Abgefallenen. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Einer aus dem Kreis antwortete und sprach: Du bist der Gottgefällige, der uns die Vision vom Himmel vorlebt, der Gott-Bezeugende! Jesus antwortete und sagte: Glücklich seid ihr, wenn ihr das erkennt; denn das wisst ihr nicht aus euch, sondern durch die Nähe Gottes. Ich aber sage euch: Wer glaubt, wird zum Baustein der Gemeinschaft, die den Geist meiner Botschaft weiterträgt. Gegen alle Widerstände und Unterdrückungen wird diese Gemeinschaft Bestand haben. Gemeinschaft, wie ich sie euch vorgelebt habe, ist der Schlüssel zum Himmelreich, das schon mitten unter euch begonnen hat. Was ihr tut, wirkt über den Tod hinaus. Dann trug er den ihn Begleitenden auf, selber zu Gott Bezeugenden zu werden.
Ernst Gansinger
Eine g‘mahte Wies‘n, 16. August 2020
Wie Gras auf der Wiese stehen die Worte auf meinem Lebensfeld. Sie gruppieren sich zu kurzen und längeren Sätzen zusammen. Manche Worte sind kräftig, manche Sätze abgestorben. Manches Wort trägt eine Krone, in der Sprachbotanik Blüte genannt. Manche Sätze sind einfach weggefressen. Wortkiller, wie jene des Neids und Zorns, graben sich zu den Wurzeln vor und nagen, bis die Sätze haltlos werden.
Hitze und Hagel, Sturm und klirrende Kälte setzen den Wort-Gräsern auf dem immer größer aber nicht saftiger werdenden Lebensfeld zu. In der Hitze von Streit, im Hagel des Spotts, im Worte schluckenden Lärmsturm und in der Kälte der Gleichgültigkeit bräuchten die Worte auf der Lebenswiese einen guten Boden, um nicht abzusterben. Aber er ist an vielen Stellen ausgelaugt und von schweren Lasten versiegelt. Da wurzelt sich nicht leicht und das lebensspendende Wasser fließt viel zu rasch ab, um genug davon auffangen zu können.
Nun ist Zeit, das Lebensfeld zu mähen. Das Leben wird zur g‘mahten Wies‘n. Mähbalken werden in kurzer Zeit die Worte köpfen, nur noch Stoppeln werden überleben. Die Schnittmesser haben keine Achtung davor und keine Ahnung, wie sehr ich um manches Wort gerungen habe, wie lange manche Sätze brauchten, bis ich sie freigab, wie viel Mühe in den Geschichten steckt und ganz besonders in der einen – in meiner Lebensgeschichte. – Sie werden ihre Arbeit tun, die Mähbalken. Einst frische Worte werden dürr und vom Wender durcheinander gewirbelt, bis die zerfallenden Sätze allen Sinn verlieren. Schon in saftigen Zeiten wurden Worte, Sätze und Lebensgeschichten daran gewöhnt, gepresst zu werden. Nun werden sie noch einmal und endgültig gepresst, gebündelt und zu unverständlichen Buchstabenresten gewickelt. Ob sie irgendwann, irgendwen zu nähren vermögen?
Ernst Gansinger
Die kanaanäische Frau
20. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A II, Mt 15,21-28
16. August 2020
In jener Zeit zog sich Jesus in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort.Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her. Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.
Das sollst Du gewesen sein, Jesus? – Da kommt jemand, bittet, und Du gibst nicht einmal eine Antwort? Dann auch noch die Betonung der Exklusivität: Du seist nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Aber es kommt noch schlimmer: der flehentlich bittenden Frau sollst Du entgegnet haben, es sei nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Du sollst also die Tochter der Frau, die keine Israelitin war, mit Hunden verglichen haben? – Nein, das ist nicht Deine Sprache. NEIN, da hat der oder die Verfasser des Textes wie in so vielen anderen Stellen des Evangeliums eine Interpretation hineingefräst und Dich zurechtgestutzt.
Das Matthäus-Evangelium wurde in der Kirche lange dem Apostel Matthäus zugeschrieben, die Bibelwissenschaft aber betont, der Verfasser ist unbekannt, jedenfalls kein Augenzeuge Jesu. Und er sei ein Judenchrist, schreibt aus einer fundierten Kenntnis der jüdischen Tradition, hat Israel im Blick samt einer universiellen Öffnung. –
Die Evangelien überliefern an vielen Stellen keine wörtlichen/authentischen Jesus-Worte.
Ich stelle mir die Begegnung mit dieser Frau anders vor, Jesus meint da mich mit:
In jener Zeit zog sich Jesus in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: „Schau uns an, erbarm‘ Dich, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter ist psychisch schwer krank.“ Jesus aber reagierte nicht. Hatte er es nicht gehört? Brauchte er Zeit zu überlegen? … Die Jünger, denen die Frau mit ihrem Flehen lästig wurde, drängten Jesus: Nimm ihr doch die Sorge, denn sie schreit penetrant hinter uns her. Er antwortete: Es ist schon so mühsam, die kleingläubigen Menschen rund um mich zur Versöhnung mit sich, den Menschen und Gott zu ermutigen, wie schwer ist es erst, Fernstehende aus ihrem In-sich-gefangen-Sein zu befreien!
Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Du weißt, wie ein Sprichwort bei uns lautet: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, schon! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Und Jesus antwortete: Frau, du bist ein großer Mensch, du verstehst mehr davon als viele um mich, wozu die Menschen gerufen sind: Füreinander und miteinander da zu sein. Das ist glauben. Dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Von dieser Stunde an pflegten Tochter und Mutter sowie Zeugen des Geschehens einen heilsameren Umgang miteinander.
Ernst Gansinger
Das Magnifikat auch als innerkirchliches Trauerlied verstehen!
Mariä Himmelfahrt, 15. August, Ev.: Lk 1,39-56
Das Evangelium am Festtag Mariä Aufnahme in den Himmel erzählt vom Besuch der mit Jesus schwangeren Maria bei ihrer hochschwangeren Cousine Elisabet. Höhepunkt des Textes ist das Magnifikat, das schon in ähnlicher Form in den alttestamentarischen Schriften zu finden ist (1 Sam 2,1-6; das Loblied Hannas):
„Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig. (Lk 1,46-55)
Dieser Text vermittelt mir einen Gott, der auf der Seite der Kleinen, Verachteten und Ohnmächtigen steht. Unter anderem verdichtet dies Jesus im Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker (Mt 25,31–46): „… Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen …“ (Mt ,35-36).
Gott fürchten, meint nicht, in Angst und Schrecken vor Gott zittern, sondern es meint eine ehrfürchtige Gottesbeziehung, einen Gottes-Respekt. Dieser drückt sich im Umgang mit den kleinen Menschen aus. Sie hinaufzuheben in die heute so oft bemühte „Augenhöhe“ mit den Großen, ist christliches Tun in der Nachfolge Jesu. Hochmut und Macht-Bewusstsein kämen nie auf die Idee, das Magnifikat zu singen. Und der von den Evangelien verkündete Gott bliebe unverstanden, wenn wir uns dem Pomp, dem Thron, der Macht in Ehrfurcht nähern. Das gilt auch innerkirchlich. Kirche ist für mich dann magnifikanisch, wenn sich der Klerikalismus endlich vom Thron herabbegibt. Marias und Hannas Loblied kann nicht im Glanzkegel von Tiara, Mitra, Pastorale, Pektorale, Birett, Kathedra … gesungen werden. Diese sind Insignien von Macht.
Ernst Gansinger
Kirche, Du bist zwanghaft
8. August 2020
Es ist schlimm, welche Probleme meine Kirche hat! – Der Vatikan (der Präfekt der Glaubenskongregation, Kurienkardinal Luis Ladaria, gutgeheißen vom Papst) hat am Donnerstag mitgeteilt, dass eine Taufe exakt mit den vorgegebenen Worten erfolgen muss. Die Taufformel lautet: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Auch kleine Veränderungen eines Wortes sind untersagt. Also nicht „ich“ durch „wir“ ersetzen! Wo kämen wir auch hin, wenn sich in die Taufe formelhaft einmal mehrere einmischen, gar die ganze Gemeinde!
Kirche, was hast Du für Probleme! Nicht eine Lebens-Förderin bist Du, sondern eine Organisation des Verbietens. Frauen am Altar, viri probati, … und jetzt sogar ein Wort. Du bist eine Wortklauberin. Aber bald werden die Wortklaubereien nur noch wenige hören, denn die Kirchen leeren sich in raschem Tempo.
Wie heißt es im 2. Korintherbrief (3,6): „Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Und wie sagte Karl Rahner einmal: „Dogmen sind wie Straßenlaternen. Sie wollen den Weg beleuchten, aber nur Betrunkene halten sich daran fest.“ (Ich weiß schon, dass die von mir kritisierte vatikanische Mitteilung kein Dogma ist – aber in unserer Kirche wird alles, was von oben dekrediert wird, als unverrückbar bekräftigt)
Ein Pfarrer hat heuer im Juni auf der Internetseite „Katholische Hörfunkarbeit“ zur oben zitierten Stelle im 2. Korintherbrief gefragt: „Wie kann ein Buchstabe töten?“ – Seine Antwort: „Wenn der Buchstabe des Gesetzes, eines Dogmas oder der Buchstabe der inneren Prägung zur bloßen Formel erstarrt ist. Wenn der Buchstabe das reale Leben immer weniger abbildet und zum Zwang wird.“
Kirche, du bist zwanghaft. In Dir wird der Zwang groß geschrieben. Und das Leben?
In einer Reaktion auf diesen Beitrag wies jemand darauf hin, dass es nicht die Kirche sei, denn Kirche sind wir alle, es seien also einzelne, vielleicht auch viele schwarze Schafe in der Kirche …
Dem halte ich entgegen: Kirche sind wir alle, darum passiert in mir, was in der Kirche passiert!
Es ist nicht „die Kirche“ … ich mag das nicht mehr hören, dass es nicht die Kirche sei, denn Kirche sind wir alle. Ich schreib bewusst von „meiner Kirche“. Ja wir alle sind Kirche. Und wir sollten nix beschönigen oder weichschreiben. Diese Kirche, die wir alle sind, könnte nach dieser „Wir-alle-sind-Kirche“-Diktion (die offenbar nur von d e r Kirche reden darf, wenn alle Mitglieder im Einklang sind) nie mit großer Sorge darüber bedacht werden, was nicht gut ist: Wenn nicht im Sinne von Tischgemeinschaft gehandelt wird, was dem Jesuanischen nicht folgt, was dem ein gutes Leben Verkündenden und Lebenden zuwider läuft. Nicht von allen in der Kirche, aber von der Kirche gesamt, so wie sich zum Beispiel nicht alle ÖsterreicherInnen, aber Österreich gesamt, also die ÖsterreicherInnen, sagen lassen müssen, auf die Umwelt und die Nachhaltigkeit (die nachfolgenden Generationen) viel zu wenig Rücksicht zu nehmen.
Zurück zur Kirche: Kirche sind wir alle, so ist es auch meine Kirche und darum schreie ich gegen den gemeinschaftlichen unjesuanischen Wahnsinn, der in immer rascherem Tempo in dieser unser aller Kirche passiert. Der also – weil wir alle Kirche sind – wenn er in der Kirche passiert, auch in mir passiert!
Ernst Gansinger
Mit dem Himmelreich ist es wie …
Mt 13,44-46
Aus dem Evangelium vom 17. Sonntag, Lesejahr A,
22. Juli 2020
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte sie.
Mit dem Himmelreich auf Erden ist es wie …
Mit dem Himmelreich auf Erden ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Als er aber später in einem anderen Acker einen noch viel schöneren Schatz entdeckte, verkaufte er den Schatz von vorhin, um sich den neuen Acker leisten zu können. Auch ist es mit dem Himmelreich auf Erden wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte sie. Als er aber später eine, wie er meinte, noch schönere Perle entdeckte, trennte er sich von der vorhin erworbenen Perle und kaufte die, die ihm noch glänzender schien. Der Mann mit dem Acker wird bald wieder meinen, es gibt noch tollere Schätze, und bereit sein, dafür alles herzugeben. Auch der Kaufmann wird bald wieder meinen, es gibt noch glänzendere Perlen, und sich von dem, was einst glänzte, trennen, um das neue Strahlen in seinen Besitz überzuführen.
Irdische Orientierung lässt rasch zweifeln, ob man schon das Beste besitze. Solche Zweifel treiben zur rastlosen Verzweiflung, das Beste möglicher Weise zu versäumen. Himmlische Orientierung kennt natürlich auch den Zweifel – „gibt es ihn?“ – aber dieser Zweifel gibt der Hoffnung Raum und dem Rasten.
Ernst Gansinger
Vielfache Hirtenentfernung
von der Herde
Zur neuen Vatikan-Instruktion zu Gemeindeformen,
veröffentlicht am 20. Juli 2020:
Nicht betonieren, sondern den Boden lockern!
Ich hab lange gebraucht, darauf zu reagieren und kann es auch jetzt noch nicht g’scheit: Ich bin fassungslos, enttäuscht und zornig. Die Obrigkeits-Kirche wehrt sich mit Händen und Füßen gegen das jesuanische Beispiel. Würde sie es leben, spielte das Weihe-Priestertum nicht diese dominierende und alles neben sich unterdrückende Rolle. Die Nachfolge würde aus der Gemeinde wachsen und wir würden vom Symbol-Feiern zur Feier einer handfesten Mahlgemeinschaft kommen. Wir würden nicht gemeindelose Gottesdienste über Livestream und Fernsehen übertragen, sondern unseren Glauben und unsere Anteilnahme dorthin tragen, wo Menschen sich nach Gemeinschafft und Berührt-Werden sehnen. Wir würden nicht die Weihe von „bewährten“ Männern und auch Frauen diskutieren, sondern uns in der Pflege von Diakonie und Verkündigung allgemein bewähren … wir würden Glaube leben und nicht verwalten oder organisieren. Ich bin maßlos enttäuscht, dass wir betonieren, statt den Boden lockern!
Gottesdienst feiern / Messe „lesen“
Mir tut weh, wenn ich an die vielen WGF-LeiterInnen denke, deren Gottesdienste fast immer sehr gut vorbereitet sind, die sie auch seelsorglich behutsam/liebevoll feiern, und dann wird dies amtlich abgewertet gegen viele „gelesene“ Messen … Kirche erkenne endlich Deine Schätze und die pastoralen Charismen so vieler!
Kirchentreue
Kirchentreue ist eine beidseitige Angelegenheit: nicht nur die Gemeinschaft darf auf meine Treue zählen, sondern auch ich darf vertrauen, dass die „Hirten“ treu zur „Herde“ stehen. Als Mitglied der Herde aber weiß ich schon nicht mehr, über welches amtskirchliche Treueversagen der Herde gegenüber ich mehr klagen soll: Über jenes der Amazonas-Synode, die die längst fällige Ämteröffnung für „bewährte“ Männer und gar Frauen verweigerte? Oder über die undemokratische Vorgangsweise der österreichischen Biko in der Frage Relaunch der KSÖ? Oder über das jüngste Treueversagen der Kleruskongregation in Bezug auf die Laien-Mitverantwortung in der Kirche. Ich fühle mich als Herdenmitglied völlig missachtet. Da neige ich dazu, zum schwarzen rebellischen Schaf zu werden. – Es will zwar in der Herde bleiben, den Hirten aber kein Gehör mehr schenken die sich ihm, dem Schaf gegenüber so ungehörig/gehörlos verhalten.
Ernst Gansinger
Christi Himmelfahrt
in Zeiten des Hochfahrens
21. Mai 2020,
Ernst Gansinger
Ich bin Pfadfinder und stelle gerne Baden Powells Abschiedsbrief an die boy scouts in fast voller Länge anlässlich Christi Himmelfahrt auf Facebook:
Der Gründer der Pfadfinder, Baden Powell, hat uns Pfadis im Testament zugesprochen, zugemutet – uns ermutigt: „Lebt so, dass ihr die Welt ein Stück besser hinterlässt, als ihr sie angetroffen habt!“ – Ich hab das für mich übersetzt: holt ein Stück Himmel auf die Welt oder rückt sie ihm ein Stück näher. Heute könnte man, weil wir es so oft hören, sagen: fahrt die Welt hoch!
„Mein Leben war glücklich, und ich möchte nur wünschen, daß jeder von Euch ebenso glücklich lebt.
Ich glaube, Gott hat uns in diese Welt gestellt, um darin glücklich zu sein und uns des Lebens zu freuen. Das Glück ist nicht die Folge von Reichtum oder Erfolg im Beruf und noch weniger von Nachsicht gegen sich selbst. Ein wichtiger Schritt zum Glück besteht darin, daß Ihr Euch nützlich erweist und des Lebens froh werdet, wenn Ihr einmal Männer sein werdet.
Das Studium der Natur wird Euch all die Schönheiten und Wunder zeigen, mit denen Gott die Welt ausgestattet hat. Euch zur Freude. Seid zufrieden mit dem, was Euch gegeben ist, und macht davon den bestmöglichen Gebrauch. Trachtet danach, jeder Sache eine gute Seite abzugewinnen.
Das eigentliche Glück aber findet Ihr darin, daß Ihr andere glücklich macht. Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als Ihr sie vorgefunden habt.
Wenn dann Euer Leben zuende geht, mögt Ihr ruhig sterben im Bewußtsein, Eure Zeit nicht vergeudet, sondern immer Euer Bestes getan zu haben.
Seid in diesem Sinn „allzeit bereit“, um glücklich zu leben und glücklich zu sterben. – Haltet Euch immer an das Pfadfinderversprechen, auch dann, wenn Ihr keine Knaben mehr seid.
Euer Freund
Baden Powell of Gilwell
Emmaus – als ihnen ein Licht aufging
Veröffentlicht am
Ich habe seit Jugendtagen Probleme mit der Emmaus-Geschichte (Lk 24,13-35). Die kommt mir an den Haaren herbeigezogen vor. Da geht der auferstandene Jesus mit zwei Jüngern, die um ihn weinen, und sie erkennen ihn nicht … Und dann (nach wie vielen Stunden?) unerkannt bleiben, erkennen sie ihn an einer Geste, am Brot-Brechen. Nun hat mich die Pastoralassistentin Magda Froschauer herausgefordert und gemeint, ich solle die Geschichte schreiben, wie ich sie verstehen würde. – Das ist daraus geworden:
Und siehe, am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist.Sie sprachen miteinander über alles, was sich ereignet hatte.
Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, dass ihnen immer deutlicher das Bild von diesem Jesus, der ihnen so nahe war, vor Augen stand. Sie erinnerten sich an viele Begebenheiten mit Jesus und kamen geradezu ins Schwärmen über ihn, den Propheten, der mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk war. Je mehr sie in ihren Erinnerungen kramten und diese austauschten, desto schwerer wurde ihnen ums Herz. Sie weinten darum, was sie alles und wen sie verloren hatten. Dass da in ihnen nicht nur Erinnerung war, sondern auch Zukunft, war ihnen nicht bewusst. Zu schwer lag die Trauer auf ihnen. Zu groß war die Enttäuschung, dass ihre Hoffnung auf einen Erlöser nun ans Kreuz genagelt wurde und begraben ist. Es waren schlimme drei Tage des Erkennens, dass alles aus ist. – So redeten die zwei miteinander und waren sich einig, dass das Gerede da und dort, diese Hoffnung lebe weiter, nur ein Geschwätz sein kann. Das Grab sei leer vorgefunden worden. Das war nicht zu glauben. Und sicher wieder eines dieser Hirngespinste, das Hoffnung aufscheucht und dann fallen lässt. Während sie so redeten, kamen ihnen auch Schriftstellen in den Sinn, die vom Leiden und von der Überwindung des Todes handelten. Davon, dass dem Leiden die Herrlichkeit folge. Aber wie sollen diese Stellen mit Jesus zu tun haben? Schöne Geschichten, aber kein Trost, sagten sie sich gegenseitig.
Während sie so miteinander sprachen, verging rasch die Zeit. Sie erreichten das Dorf und das Haus, das ihr Ziel war. Das Gespräch unterwegs hatte sie so sehr aufgewühlt, dass sie unbedingt weiterreden wollten, dazu aber auch Stärkung brauchten.
Als sie mit dem Mahl beginnen wollten, nahm einer das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und teilte es aus. So wie es ihnen Jesus vorgelebt hat. Da ging ihnen ein Licht auf und es wurde ihnen klar, dass sie nachfolgen können und sollen. Nicht mehr Erinnerung allein ist es, was sie nährt, sondern das Tun jetzt und in Zukunft. Das Herz brannte ihnen wegen dieser Einsicht und es hielt sie nicht mehr länger an diesem Ort. Sie mussten zurück zu den anderen und ihnen davon erzählen, was ihnen aufgegangen war. Als sie die Jünger in Jerusalem trafen, erzählten viele sehr Ähnliches. Sie haben begriffen, dass es mit dem Tod Jesu nicht damit aus ist, wozu Jesus ermutigt hat: die Menschen, insbesondere die am Rand in die Gemeinschaft zu holen und Gott als unendlich Liebenden zu verstehen. Ins Reich Gottes sind alle berufen!
Ernst Gansinger